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Reisetagebuecher

Reisetagebuecher

Titel: Reisetagebuecher
Autoren: Franz Kafka
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zu, ich schließe die Augen, er stellt sich aber schon vor: Hitzer, Landvermesser, und gibt mir 4 Schriftchen als Sonntagslektüre. Im Weggehn spricht er noch von
    "Perlen" und "vorwerfen" womit er andeuten will, daß ich die Schriften dem Dr. Schiller nicht zeigen soll. Es sind "der verlorene Sohn", "Erkauft oder Nicht mehr mein (für ungläubige Gläubige) " mit kleinen Geschichten, "Warum kann der Gebildete nicht der Bibel glauben?" und
    "Hoch die Freiheit! aber: Was ist wahre Freiheit?" Ich lese ein wenig und gehe dann zu ihm zurück und versuche, unsicher durch den Respekt, den ich vor ihm habe, ihm klarzumachen, warum gegenwärtig keine Aussicht auf Gnade für mich besteht. Darauf redet er 1 1/2 Stunden zu mir (gegen Schluß gesellt sich ein alter weißhaariger, magerer, rotnasiger Herr im Leintuch mit einigen undeutlichen Bemerkungen zu uns) mit schöner nur aus Wahrhaftigkeit möglicher Beherrschung jedes Wortes. Der unglückliche Goethe, der soviel Existenzen unglücklich gemacht hat. Viele Geschichten. Wie er, Hitzer, dem Vater das Wort verbot, als er in seinem Hause Gott lästerte.
    "Mögest Du Vater darüber entsetzt sein und vor Schrecken nicht weiter reden, mir ist es recht. "
    Wie der Vater Gottes Stimme auf dem Sterbebette hörte. - Er sieht mir an daß ich nahe an der Gnade bin. - Wie ich selbst alle seine Beweise abbreche und ihn an die innere Stimme verweise.
    Gute Wirkung. -

    15 (Juli 1912) Kühnemann "Schiller" gelesen. - Der Herr, der immer eine Karte an seine Frau in der Tasche trägt, für den Fall eines Unglücks. - Buch Ruth - Ich lese "Schiller". Unweit liegt ein nackter alter Herr im Gras, einen Regenschirm über dem Kopf ausgespannt, mir den Hintern zugekehrt und prallt einige Male laut in der Richtung gegen meine Hütte hin. - Das braune und das blaue Kleid des zuerst weißgekleideten steifen Fräuleins und wie sich ihre Gesichtshaut unter dem Einfluß dieser Farben so deutlich, schulmäßig förmlich, verwandelt.

    15 (Juli 1912) Plato "Der Staat" - Modell gestanden für Dr. Schiller. Ohne Schwimmhosen.
    Exhibitionistisches Erlebnis. - Die Seite in Flaubert über die Prostitution. - Die große Beteiligung des nackten Körpers am Gesamteindruck des Einzelnen. - Ein Traum: Die Luftbadgesellschaft vernichtet sich mittelst einer Rauferei. Nachdem die in zwei Gruppen geteilte Gesellschaft mit 38
    einander gespaßt hat, tritt aus der einen Gruppe einer vor und ruft der andern zu: "Lustron und Kastron!" Die andern: "Wie? Lustron und Kastron?" Der eine: "Allerdings. " Beginn der Rauferei.

    16 (Juli 1912) Kühnemann. - Herr Guido von Gillhausen, Hauptm. a. D., dichtet und komponiert
    "An mein Schwert" u. ä. Schöner Mann. Wage aus Respekt vor seinem Adel nicht zu ihm aufzuschauen, habe Schweißausbruch (wir sind nackt) und rede zu leise. Sein Siegelring. - Die Verbeugungen der schwedischen Jungen. Das durch Angewöhnung schweratmige Sprechen des Ältern, Rothaarigen. - Rede im Park angezogen mit einem Angezogenen. Er prallt so viel und laut, daß ich kein Wort von dem, was er redet, verstehen kann. - Versäumter Massenausflug nach Harzburg. - Abend. Schützenfest in Stapelburg. Mit Dr. Schiller und einem Berliner Friseurmeister.
    Die große sanft zum Stapelburger Burgberg aufsteigende von alten Linden geführte, von einem Bahndamm falsch durchschnittene Ebene. Das Schützenhäuschen, aus dem geschossen wird. Alte Bauern machen die Eintragung ins Schützenbuch. Die 3 Pfeifer mit Frauenkopftüchern die ihnen vom Rücken herabhängen. Alter unerklärlicher Brauch. Einige in alten einfachen blauen ererbten Kitteln, die aus feinstem Leinen sind und 15 M kosten. Fast jeder hat seine Büchse. Ein Vorderlader. Man hat den Eindruck daß alle von der Feldarbeit irgendwie krumm sind, besonders als sie sich in zwei Reihen aufstellen. Einige alte Anführer in Cylinderhut mit umgeschnalltem Säbel. Roßschweife und noch einige alte Symbole werden herbeigetragen, Aufregung, dann Spiel der Musikkapelle, größere Aufregung, dann Stille und Trommeln und Pfeifen, noch größere Aufregung, endlich werden ins letzte Trommeln und Pfeifen drei Fahnen herausgebracht, letzte Aufregung, Kommando und Abmarsch. Der Alte in schwarzem Anzug, schwarzer Mütze, etwas gedrücktem Gesicht und nicht zu langem, rings um das Gesicht gehenden, dichten, seidigen, unübertrefflich weißem Bart. Der vorige Schützenkönig, auch mit Cylinder, mit einer portiersähnlichen Schärpe um den Leib, die mit lauter kleinen Metallschildchen
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