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Das verletzte Gesicht

Das verletzte Gesicht

Titel: Das verletzte Gesicht
Autoren: Mary Monroe
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1. KAPITEL
    A pril 1996
    Da die Welt angeblich eine Bühne war, wurde es wieder Zeit für sie, ihre Rolle zu spielen.
    Charlotte saß im grünen Raum des Fernsehstudios, während sich draußen die Titelmelodie der Talkshow mit dem Applaus des Publikums mischte. Sie hatte Vicki Ray dieses Interview versprochen, und es gab kein Zurück mehr. Lieber diese Stunde durchstehen, als monatelang eine schlechte Presse erdulden. Sie hatte in letzter Zeit genug schlechte Presse gehabt. Ihr Plan stand fest. Freddy hatte gewohnt zwanghaft alle Details geklärt. Wie hatte er noch gesagt? „Interview, Trauung, Operation. Zack, zack, genau in der Reihenfolge.“
    Ihre Schläfen hämmerten im Rhythmus des Pulsschlags. Wie heiß es hier war! Sie legte eine zitternde Hand an die fiebrige Stirn. Ihre Lippen waren wie ausgedörrt. Sie presste die Finger zusammen, um sie am Zittern zu hindern. Bitte, lass die Symptome nicht schlimmer werden, flehte sie im Stillen. Vielleicht nahm sie besser noch eine Tablette. Sie suchte in ihrer Handtasche danach. Nur für alle Fälle.
    Drei kurze Klopfzeichen an der Tür.
    „Charlotte?“ Freddy Walen trat ein, ohne eine Antwort abzuwarten. Obwohl nicht groß gewachsen, füllte er mit seiner dominanten Präsenz den Raum und ließ Charlotte innerlich schrumpfen, während er sie mit forschendem Blick besitzergreifend musterte.
    „Gut … gut“, sagte er offenbar zufrieden und strich sich über den ordentlich gestutzten Oberlippenbart. Kein Schmuck am schlanken Schwanenhals, das lange blonde Haar fiel locker auf die Schultern und die großen blauen Augen strahlten. Dieses Aussehen bezeichnete Freddy als das „Strahlen eines Stars“. Er hatte ihr beigebracht, das Publikum erwarte von Charlotte Godfrey unterkühlte Eleganz. Und sie enttäuschte es nicht.
    „Was nimmst du da?“ fragte er.
    „Eine Schmerztablette, um das Interview zu überstehen.“ Sie starrte auf die weiße Pille in ihrer Hand und hob besorgt den Blick. „Freddy, sag das Interview ab. Es geht mir nicht gut. Die Symptome kehren zurück. Meine Hände zittern, und noch eine Tablette zu nehmen ist keine Lösung.“
    „Es wird schon gehen“, erwiderte er brüsk und tätschelte ihr die Schulter. „Kopf hoch. Wir können jetzt nicht mehr absagen. Außerdem brauchen wir dieses Interview, um Gerüchte zu zerstreuen. Danach haben wir Ruhe vor der Presse und können nach Südamerika abreisen, damit du wieder in Ordnung kommst. Zieh die Show durch, und wir sind weg hier. Versprochen. Nimm jetzt die Pille.“
    Charlotte schenkte sich ein Glas Wasser ein. „Ich traue Vicki Ray nicht. Sie ist hart. Gewitzt. Was, wenn sie etwas vermutet?“
    „Vergiss es. Vicki hat keine Ahnung. Andernfalls würde ich es wissen.
    „Miss Godfrey?“ Von jenseits der Tür kam die hohe, angestrengte Stimme eines Inspizienten. „Sind Sie fertig? Es ist wirklich Zeit.“
    Sie verstand seine Panik und hatte Mitleid. Hinauszögern war ohnehin sinnlos. „Ja!“ rief sie und schluckte rasch ihre Medizin. „Natürlich. Sofort.“
    „Denk dran.“ Freddy nahm sie bei den Schultern. „Es ist nur eine weitere Rolle. Halte dich an das Drehbuch, Baby, und du wirst großartig sein.“
    Charlotte schüttelte seine Hände ab. „Sei nicht albern, Freddy. Bei Vicki Ray gibt es kein Drehbuch.“ Sie öffnete die Tür und sah sich einem jungen Mann mit Panik im Blick gegenüber, der sie im Eiltempo den Flur entlanggeleitete, vorbei an Mitarbeitern, die sie verehrend anlächelten. In den letzten Jahren war sie gegen diese Verzückung immun geworden. Diese Leute wussten nichts von ihr und kannten den Menschen hinter der Glamourerscheinung nicht. Freundlich nickend ging sie rasch vorbei.
    Sie erreichten die Bühne, als Vicki Ray ihren Gast ankündigte, indem sie einige ihrer Filmrollen nannte und ihren kometenhaften Aufstieg betonte. Charlotte hörte aufmerksam zu und schlüpfte in die Rolle der Beschriebenen: ein Star von legendärer Schönheit, vor der Kamera ein Phänomen, im Privatleben ein Einsiedler. Die neue Garbo.
    Es gab eine kurze Pause, einen Moment, die Hand an die Stirn zu legen und sich zu sammeln. Charlotte atmete tief durch, zwang sich, die Hände still zu halten, und setzte jenes geheimnisvoll sinnliche Lächeln auf, das ihr Markenzeichen war.
    Der Hinweis, zu applaudieren, leuchtete auf. Im blendenden Scheinwerferlicht betrat sie die Bühne – Suchscheinwerfer eines Gefängnisses, die ihr jeden Fluchtweg versperrten. Mit geschulter Grazie ging sie zu dem
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