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Reisetagebuecher

Reisetagebuecher

Titel: Reisetagebuecher
Autoren: Franz Kafka
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im Bett liegt. Nachmittag Ausflug nach Belvedere. Hiller und Mutter. Schöne Fahrt im Wagen durch eine einzige Allee. Überraschende Anordnung des Schlosses, das aus einem Hauptteil und 4 seitlich angeordneten Häuschen besteht, alles niedrig und zart gefärbt. Ein niedriger Springbrunnen in der Mitte. Blick vorwärts nach Weimar. Der Großherzog war schon seit einigen Jahren nicht hier. Er ist Jäger und hier ist keine Jagd. Der ruhige entgegenkommende Bediente mit glattrasiertem eckigen Gesicht, traurig wie vielleicht alles Volk, das sich unter Herrschaften bewegt. Trauer der Haustiere.
    Maria Pawlovna, Schwiegertochter des Großherzogs Karl August, Tochter der Maria Feodorowna und des Kaisers Paul, der erdrosselt wurde. Viel russisches. Cloisone Kupfergefäße mit aufgehämmerten Dräten, zwischen die das Email gegossen wird. Die Schlafzimmer mit Himmelskuppel. Photographien in den noch bewohnbaren Zimmern die einzige Modernisierung.
    Wie sie sich unbeobachtet auch einordnen werden! Zimmer Goethes, ein unteres Eckzimmer.
    Einige Deckenbilder Oesers, bis zur Unkenntlichkeit aufgefrischt. Viel Chinesisches. Das "dunkle Kammerfrauenzimmer". Das Naturteater mit den zwei Zuschauerreihen. Der aus mit den Lehnen aneinandergestellten Bänken bestehende Wagen, dos à dos, in dem die Damen saßen, während die begleitenden Kavaliere neben ihnen ritten. Der schwere Wagen, in dem Maria Pawlovna mit ihrem Mann in 26 Tagen dreispännig von Petersburg nach Weimar auf der Hochzeitsreise fuhr.
    Naturteater und Park von Goethe eingerichtet. - Abend zu Paul Ernst. Auf der Gasse 2 Mädchen nach der Wohnung des Schriftstellers P. E. gefragt. Sie schauen uns zuerst nachdenklich an, dann stößt eine die andere, als wolle sie sie an einen Namen erinnern, der ihr gerade nicht einfällt.
    Meinen Sie Wildenbruch? fragt uns dann die andere. - Paul Ernst. Über den Mund gehender Schnurrbart und Spitzbart. Hält sich am Sessel fest oder an den Knien, trotzdem er auch bei Erregung (wegen seiner Kritiker) nicht losgeht. - Wohnt am Horn. Eine Villa scheinbar ganz mit seiner Familie angefüllt. Eine Schüssel stark riechender Fische, welche die Treppe hinaufgetragen werden sollte, wird bei unserem Anblick wieder in die Küche zurückgebracht. - Eintritt des Pater Expeditus-Schmitt, mit dem ich schon einmal auf der Hoteltreppe zusammengestoßen bin. Arbeitet im Archiv an einer Otto Ludwig Ausgabe. Will Nargileh ins Archiv einführen. Schimpft eine Zeitung "fromme Giftkröte" weil sie die vom ihm herausgegebenen "Heiligenlegenden" angegriffen hat.

    Samstag 6 Juli (1912) - Zu Schlaf. Alte ihm ähnliche Schwester empfängt uns. Er ist nicht zuhause.
    Wir kommen abend wieder. - Einstündiger Spaziergang mit Grete. Sie kommt scheinbar im Einverständnis mit ihrer Mutter, mit der sie noch von der Gasse aus durchs Fenster spricht. Rosa Kleid, mein Herzchen. Unruhe wegen des großen Balles am Abend. Ohne jede Beziehung zu ihr gewesen. Abgerissenes, immer wieder angegangenes Gespräch. Einmal besonders rasches, dann wieder besonders langsames Gehn. Anstrengung, um keinen Preis deutlich werden zu lassen, wie 34
    wir mit keinem Fädchen zusammenhängen. Was treibt uns gemeinsam durch den Park? Nur mein Trotz? - Gegen Abend bei Schlaf. Vorher Besuch bei Grete. Sie steht vor der ein wenig geöffneten Küchentür in dem lange vorher gepriesenen Ballkleid, das gar nicht so schön ist, wie ihr gewöhnliches. Schwer verweinte Augen, offenbar wegen ihres Haupttänzers, der ihr schon berhaupt viel Sorgen gemacht hat. Ich verabschiede mich für immer. Sie weiß es nicht und wenn sie es wüßte, läge ihr auch nichts daran. Ein Weib, das Rosen bringt, stört noch den kleinen Abschied. - Auf den Gassen von allen Seiten Tanzstundenherren und -damen. - Schlaf. Wohnt nicht gerade in einer Dachstube, wie es Ernst, der mit ihm zerfallen ist, uns einreden wollte. Lebhafter Mann, den starken Oberkörper von einem fest zugeknöpften Rock umspannt. Nur die Augen zucken nervös und krank. Spricht hauptsächlich von Astronomie und seinem geocentrischen System. Alles andere Litteratur, Kritik, Malerei hängt nur noch so an ihm weil er es nicht abwirft.
    Weihnachten wird sich übrigens alles entscheiden. Er zweifelt an seinem Sieg nicht im Geringsten.
    Max sagt, seine Lage gegenüber den Astronomen sei "der Lage Goethes gegenüber den Optikern ähnlich. " "Ähnlich" antwortet er immer mit Handgriffen auf dem Tisch, "aber viel günstiger, denn ich habe unbestreitbare Tatsachen für
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