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Reise zu Lena

Reise zu Lena

Titel: Reise zu Lena
Autoren: Alfred Neven DuMont
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treuer Begleiter, wie er sagte, viele Jahre, wenn ich mich recht erinnere.«
    »Er hat nichts ausrichten können.«
    Der alte Mann hatte Messer und Gabel zur Seite gelegt, richtete sich hoch auf in seinem Stuhl, atmete tief durch:
    »Ich erlaube mir, Dir zu widersprechen, meine Liebe. Er hat ihren Weg erleichtert, viele Tage, ihre trüben Gedanken verjagt. Danach haben wir ihn übernommen.«
    »Er hat Dich übernommen, Albert, Du brauchtest ihn, nicht ich. Ich weiß meinen Weg.«
    »Also: Ich!«
    Ann sah ihn streng, beinahe furchterregend an:
    »Das Resultat zählt: Er hat versagt.«
    »Bei Glorie: Am Ende, gut, das kann man so nennen. Es war eine Niederlage, ihre Sehnsucht hinüber war stärker. Auch der beste Arzt versagt, wenn es die Natur will. Wie auch hätte er erfolgreich sein können, wo später die Anstalten nichts auszurichten vermochten? Aber war es nicht vielmehr auch unsere Niederlage, meine Niederlage war es mit Sicherheit.«
    Ann hatte sich erhoben, stellte die Teller auf den Abstellwagen, um ihn in die nahe Küche zu schieben:
    »Nein, bleib Du sitzen, ich komme alleine besser zurecht. Du zitterst doch immer bei dem schrillen Klang von Gläsern und Geschirr, das zu Boden fällt, wie erst vor wenigen Tagen.«
    »Ich weiß, es war meine Schuld.«
    Ann wandte sich brüsk ab:
    »Schon wieder >Schuld<: Mein Gott, können wir solche Kleinigkeiten nicht etwas harmloser betrachten, wie sie es verdienen. Du hast diese Krankheit, wie viele andere auch, und ich tue mein Möglichstes, um die Schwere der Last zu mildern. Aber das ist die Schuld von niemandem. Wenn das Leid von jemandem verursacht ist, dann von Gott. Und Gott, wie jeder weiß, ist ohne Schuld, die Schuld fällt auf uns Menschen zurück: So ist die Kleiderordnung, so war es von Anfang an, so wird es sein in Ewigkeit.«
    Er hatte längst ein Lächeln aufgesetzt:
    »Du redest vom Christentum. Die alten Griechen, ein bisschen früher, waren milder, die Götter mischten sich unter die Menschen.«
    Sie rief aus der Küche:
    »Entweder, Albert, bläst Du Trübsal, oder Du machst Dich über alles lustig. Gibt es bei Dir nichts dazwischen? Es würde unser Leben erleichtern, Liebling. Ich bitte Dich!«
    Er hatte sich erhoben, stand mit seinem Weinglas in der Hand im Türrahmen zur Küche, neigte seinen Kopf langsam nach vorne und flüsterte kaum wahrnehmbar:
    »Ja, mein Liebling.«
    »Stell das Weinglas auf den Tisch zurück, ich vergaß zu sagen, dass Anton heute Abend noch bei uns vorbeischauen will. Er möchte sehen, wie es Dir geht.«
    Mit immer noch gesenktem Kopf wiederholte der alte Mann:
    »Ja, Liebling.«
    Ann schob Reste des Abendessens, gut verpackt, in den Kühlschrank:
    »Sprich lauter, ich verstehe Dich nicht.«
    Er ging ins Esszimmer zurück, setzte vorsichtig das Weinglas ab und schritt weiter ins Treppenhaus, obwohl er das Läuten an der Haustür hören musste, und verschwand oben in seinem Schlafzimmer, die Tür hinter sich schließend.
    Bevor sie die Haustür öffnete und Anton einließ, rief sie hinter ihm her, die Treppe hinauf:
    »Ich habe Dir gesagt, dass ich Dich nicht verstehen kann!«
    Ann hielt ihren Sohn fest in ihren Armen, sie umklammerte ihn in einer jäh aufflammenden Verzweiflung, Tränen standen in ihren Augen:
    »Oh Gott«, stammelte sie, »es ist schwer! Erst Glorie und jetzt er, er . . .«
    Anton versuchte, sich sanft aus der Umarmung zu befreien, küsste seine Mutter auf die Stirn und die feuchten Wangen:
    »Ich scheine gerade im rechten Augenblick . . .«
    »Du bist mein Einziger, der Letzte, den ich noch habe«, schluchzte sie, »ich bin so froh, dass Du hier bist, Du Guter, Lieber.«
    Er hatte sich bei ihr untergehakt, führte sie galant ins Wohnzimmer, lachte kurz auf:
    »Was hat der Alte denn wieder angestellt? Du weißt, Mutter, er meint es nicht so. Nimm doch nicht jedes seiner Worte so schwer! Und du weißt auch: Glorie hat ihre Depressionen von ihm geerbt, bei Dir, Mutter, kann ich nichts dergleichen erkennen. Du bist stark! So gesehen, bin ich Dein Kind.«
    Sie saß dicht neben ihm auf dem Sofa, streichelte seine Linke und schaute mit leuchtenden Augen zu ihm auf:
    »Was Du für schöne helle Haare hast, so wundervoll gelockt, stark im Wuchs. Von wem die wohl sind?«
    Er lachte abermals:
    »Mutter, das kannst nur du beantworten: Es war wohl so ein schmucker durchreisender Prinz, dem Du nicht widerstehen konntest? Wer weiß! Ihr habt ja nicht lange vor meiner Geburt geheiratet. Dann wurde die Legende mit der
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