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Reise zu Lena

Reise zu Lena

Titel: Reise zu Lena
Autoren: Alfred Neven DuMont
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einen so wunderbaren Papi zu haben. Meine Freundinnen finden ihn alle toll.«
    Und im nächsten Heft, als sie vierzehn war: »Schon wieder meine Tage, zu blöde. Ausgerechnet am Wochenende und Mami ist raus an den See zum Schwimmen, typisch! Papi wusste erst nicht, was er mit mir anfangen sollte. Dann spielten wir das blöde Domino, haben aber viel gelacht, später sein geliebtes Tischtennis. Er versuchte, mich gewinnen zu lassen, da bin ich ihm aber ganz schön auf die Schliche gekommen. Später wurde er ganz plötzlich traurig. Ich glaube, er ist mir sehr ähnlich. Er hat auch so komisch gelacht, so hell, wollte gar nicht mehr aufhören. Später kam Christie, wir schliefen ganz eng zusammen.«
    Und dann:
    »Am schönsten ist es, wenn wir im Sommer ins Wallis fahren. Viel besser als nach Sylt. Ich mag das Meer nicht, ich glaube, ich habe Angst vor den großen Wellen. Einmal war ich weit draußen, zu weit, wie Papi meinte, und ich glaubte unterzugehen. Wir haben da oben in den Bergen immer dasselbe Haus, es ist eigentlich eine große Holzhütte, wo man alles hört. Wenn der Papi lacht, zum Beispiel, oder wenn die Eltern streiten, was sie in den Ferien immer tun, ist dies überall zu hören. Diesmal durfte ich Christie mitnehmen, wir verstehen uns fantastisch. Meistens begleitet Papi uns in die Berge, er trägt dann den Rucksack und nervt mit seiner Bemerkung, wir sollten hinschauen, wo wir hintreten. Aber wenn wir über Jungen reden wollen, geht er immer ein wenig voraus, es ist ihm wohl peinlich, ich weiß, dass er uns trotzdem im Auge behält. Unser Haus liegt etwas oberhalb vom Dorf, gleich unter uns wohnt eine Familie mit zwei hellblonden Jungen, es sind Zwillinge. Dummerweise finden Christie und ich den gleichen toll. Er ist groß, hat eine lustige Nase und ein freches Lächeln. Wirklich süß. Papi hat schon mit seinen Eltern gesprochen. Die sprechen nur französisch, dann wird es schwer für uns, wenn wir mal, wie verabredet, zusammen essen gehen.«
    Er erinnerte sich: Als sie nach den Wochen am Berg talwärts fuhren, sah er im Rückspiegel die Tränen in Glories Augen, erster Liebeskummer, wie er damals dachte. Irgendwann am Abend hatte sie sich mit dem blonden Jungen wohl geküsst und Ann gestanden, dass sie sich mit ihm verlobt hätte, heimlich natürlich, großes Geheimnis. Nie wieder später, auch nicht, als Glorie zu einer schönen jungen Frau herangewachsen war, hatte sie sich noch einmal mit jemandem verloben wollen. Sie sagte auf seine gelegentlichen vorsichtigen Fragen hin: »Nein, nein, leider nicht! Das kommt für mich nicht in Frage. Ich halte das nicht durch und mir fehlt einfach der Mut. Darf so eine wie ich überhaupt an Kinder denken?«
    An Gelegenheiten hatte es ihr ja nicht gemangelt, es war auch ein junger, erfolgversprechender Mann dabei, der in der Firma arbeitete und den er gerne als Schwiegersohn gesehen hätte. Aber nein, sie nahm das Leben schwer, zu schwer. Die Erinnerung an ihre Urlaube hingegen muss unauslöschbar für sie gewesen sein. Sie ging immer wieder ins Wallis zurück, wenngleich sie nicht darüber sprach. Kurz vor ihrem Ende fand sie auch dorthin ihren Weg.
    Am nächsten Tag kam Erwin zu Besuch, schon lange als Freund, nicht mehr als Arzt. Ann stand an der Tür, als er eintrat. Sie zögerte einen Augenblick, bevor sie ihn hereinkommen ließ:
    »Ich hatte gar nicht mit Ihnen heute gerechnet.«
    Dann legte er seinen Mantel ab:
    »Es will kein Sommer werden. Welch eine unfreundliche Gegend, in der wir leben.«
    »Eine schöne Überraschung, Sie heute zu sehen!«
    Er stellte sich ihr gegenüber und gab Ann die Hand:
    »Ich komme alle zwei Wochen, immer am selben Tag, wenn es geht, Sie wissen es doch. Ich denke, Ihr Mann freut sich, er grübelt soviel.«
    Sie musterte ihn streng, ein wenig gedankenverloren:
    »Sie haben recht, ich bin Ihnen dankbar.«
    »Niemand muss dankbar sein, ich sagte doch, dass ich gerne komme, als Freund. Ihr Mann ist schon lange nicht mehr mein Patient.«
    »Ein hoffnungsloser Fall: Sagten Sie das nicht? Sie haben ihn nicht geheilt, genug Zeit hatten Sie ja.«
    »Nein, diese Bemerkung war ganz allgemein, betraf nicht ihn. Nein, ganz allgemein: ein hoffnungsloser Fall – ein hoffnungsvoller Fall. So sind wir alle. Ich sehe allerdings mehr auf die Hoffnung, die sich in jeder Hoffnungslosigkeit zeigt. Und immerhin, wir haben ihn stabilisiert, vor Schlimmerem bewahrt. Vergessen Sie nicht: Er wollte seiner Tochter folgen.«
    Ann schritt ihm voraus ins
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