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Reise im Mondlicht

Titel: Reise im Mondlicht
Autoren: Antal Szerb
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verstand, weil es ihm gar nicht in den Sinn kam, sich
     für das Innenleben eines anderen Menschen zu interessieren. Trotzdem hatten sie geheiratet, weil Mihály behauptete, sie beide
     verstünden sich vollkommen, und ihre Ehe basiere gänzlich auf Vernunft und nicht auf vergänglichen Leidenschaften.Wie lange
     konnte man an solchen Fiktionen festhalten?

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    Ein paar Abende danach kamen sie in Ravenna an. Am folgenden Morgen stand Mihály sehr früh auf, zog sich an und ging aus dem
     Hotel. Er wollte sich die byzantinischen Mosaiken, Ravennas berühmteste Sehenswürdigkeit, allein anschauen, denn jetzt wußte
     er schon, daß er mit Erzsi vieles nicht teilen konnte. Dazu gehörten auch die Mosaiken. Erzsi war in kunstgeschichtlicher
     Hinsicht viel beschlagener und empfänglicher als er, und sie war auch schon in Italien gewesen, so daß Mihály meistens sie
     entscheiden ließ, was man zu besichtigen und was man dabei zu denken hatte. Ihn selbst interessierten Bilder nur selten, nur
     zufällig, in einem Aufblitzen, eins von Tausend. Aber die Mosaiken von Ravenna   … das war ein Denkmal seiner eigenen Vergangenheit.
    Die Mosaiken hatten sie einst zusammen angeschaut, er, Ervin, Tamás Ulpius und Éva, Tamás’ jüngere Schwester, in einem großen
     französischen Buch, unerklärlich nervös und geängstigt, an einem Weihnachtsabend bei den Ulpius zu Hause.Im riesigen Nebenzimmer
     war der Vater von Tamás einsam auf und ab gegangen, sie hatten die Ellenbogen auf den Tisch gestützt, so betrachteten sie
     das Buch, und der goldene Hintergrund der Bilder schimmerte ihnen entgegen wie ein Licht unbekannten Ursprungs in der Tiefe
     eines Minenschachts. An den byzantinischen Bildern war etwas, das ganz unten in ihrer Seele ein Grauen aufwühlte. Um Viertel
     vor zwölf zogen sie ihre Mäntel an und machten sich verfrorenen Herzens auf den Weg zur Mitternachtsmesse. Dort fiel Éva in
     Ohnmacht; es war das einzige Mal, daß ihr die Nerven einen Streich spielten. Danach war einen Monat lang alles Ravenna, und
     für Mihály blieb die Stadt eine undefinierbare Art von Angst. Das alles, jener tief versunkene Monat, erwachte in ihm, als
     er jetzt in San Vitale vor den wundervollen, hellgrün getönten |14| Mosaiken stand. Seine Jugend kam mit solcher Wucht über ihn, daß ihm schwindlig wurde und er sich an eine Säule stützen mußte.
     Es dauerte aber nur einen Augenblick, danach war er wieder ein ernster Mensch.
    Die anderen Mosaiken interessierten ihn nicht mehr. Er ging ins Hotel zurück, wartete, bis Erzsi fertig war, und dann besichtigten
     und besprachen sie alle Sehenswürdigkeiten ordnungsgemäß. Mihály sagte natürlich nicht, daß er am frühen Morgen schon in San
     Vitale gewesen war, er drückte sich ein bißchen verschämt in die Kirche hinein, als ob ihn etwas verraten könnte, und um seine
     morgendliche Erschütterung zu kompensieren, sagte er, so toll sei das ja gar nicht.
    Am Abend des folgenden Tages saßen sie auf der kleinen Piazza vor einem Café, Erzsi aß Eis, Mihály probierte ein unbekanntes
     bitteres Getränk, das ihm aber nicht schmeckte, und er zerbrach sich den Kopf, womit er den bitteren Geschmack hinunterspülen
     könnte.
    »Fürchterlich, dieser Geruch«, sagte Erzsi. »Wo immer man hingeht in dieser Stadt, riecht man ihn. Ich stelle mir einen Gasangriff
     so vor.«
    »Kein Wunder«, sagte Mihály. »Die Stadt hat einen Leichengeruch. Ravenna ist ein dekadenter Ort, der seit mehr als tausend
     Jahren verkommt.Der Baedeker sagt das auch.Die Stadt hatte drei Glanzzeiten, die letzte war im achten Jahrhundert nach Christus.«
    »Ach was, du Trottel«, sagte Erzsi lächelnd. »Du denkst immer gleich an Tod und Verwesung. Dieser Gestank kommt doch gerade
     vom Leben, vom Wohlstand:von einer Kunstdüngerfabrik, von der ganz Ravenna lebt.«
    »Ravenna lebt vom Kunstdünger? Die Stadt, in der Theoderich der Große und Dante begraben sind, die Stadt, neben der Venedig
     ein Parvenu ist?«
    »Jawohl, mein Lieber.«
    »Was für eine Schweinerei.«
    In dem Augenblick kam ein Motorrad auf die Piazza gedonnert, und der bebrillte und unglaublich motorradmäßig ausgestattete
     Fahrer schwang sich herunter wie von einem Pferd. Er schaute |15| um sich, erblickte Mihály und Erzsi und kam geradewegs auf ihren Tisch zu, das Motorrad gewissermaßen an der Hand führend.
     Beim Tisch angekommen, schob er seine Brille hoch wie das Visier eines Helms, und sagte: »Servus, Mihály. Dich habe ich
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