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Lektionen (German Edition)

Lektionen (German Edition)

Titel: Lektionen (German Edition)
Autoren: Madeline Moore
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    Kapitel 1
    Die rosafarbene Marmorwand fühlte sich kühl an. Sarah fuhr mit den Fingerspitzen daran entlang, während sie sich weiter hinein in das nagelneue Royal Avenue Hotel von Toledo wagte. Große funkelnde Kristallkronleuchter ließen den riesigen Raum erstrahlen. Frische tropische Blumen und exotische, fleischblättrige Grünpflanzen in urnenförmigen Gefäßen vermittelten einen hellen, einladenden Eindruck und mäßigten die Strenge des Zierwerks aus Marmor und Messing. Wäre sie sich der wachsamen Blicke des Empfangschefs nicht bewusst gewesen, hätte Sarah ihre gerötete Wange an den Marmor geschmiegt, um etwas von dessen Kühle anzunehmen. Doch er beobachtete sie, und sie meinte zu wissen, was er dachte: Was sucht dieses freche kleine Schulmädchen in meinem prächtigen neuen Hotel?
    Ihm war es nicht zu verübeln. Sie hatte gerade eine Schicht als Fremdenführerin für die Seneca-Universität hinter sich, und die Entscheidungsgewaltigen hatten verfügt, dass ihre Fremdenführer eine altmodische Uniform aus kurzem Schottenrock, steifem weißem Hemd, weißen Söckchen und schwarzen Lackschuhen zu tragen hätten.
    Ihre kastanienbraunen Haare hatte sie zu zwei Rattenschwänzchen gebunden. Sie war nicht geschminkt. Sarah glaubte, kein Make-up zu brauchen – ihre Wimpern waren lang und die Lippen voll und dunkelrosa. Ihre Augen, die sie als hübschestes Merkmal ihres Gesichts ansah, standen weit auseinander und waren von solch dunklem Blau, dass sie mit Saphiren verglichen worden waren (von ihrem Dad, na schön, aber trotzdem …) und ihr Freund David sie als marineblau bezeichnet hatte. Sie hatte es nie nötig gefunden, ihre Lider, ihre Wangen oder ihren Mund anzumalen – bis eben nicht, als sie sich von Herzen wünschte, auf der Stelle wie eine erwachsene Frau aussehen zu können statt wie ein junges Mädchen. Eine Frau, die hierhingehörte.
    Das würde bald vorübergehen. Die Befangenheit, die sie an ungewohnten Orten stets empfand, würde sich legen, sobald sie sich an das Hotel gewöhnte, wenn sie nur lange genug hier verweilte. Sie war versucht, ihren schweren Rucksack zu nehmen und zu verschwinden, widerstand aber dem Impuls. Draußen war es schwülheiß wie im Hochsommer, obwohl der Herbst nahte. Es gab keinen Ort, an den sie hätte gehen können, nirgendwohin außer nach Hause auf ihr Zimmer oder zu David in seine Wohnung, wo er, eine wissenschaftliche Hilfskraft am Institut für Geschichte, gewissenhaft die ersten Hausarbeiten des Herbstsemesters durchsah und die erste seiner allwinterlichen Erkältungen auskurierte. Ärger kam in ihr auf. Das auf keinen Fall.
    Ein lauter Jauchzer hallte in der weitläufigen Empfangshalle wider.
    Eine Hotelbar! Sarah hatte ihren Glückstag, und warum auch nicht? Schließlich hatte sie Geburtstag.
    Sehnsüchtig schweifte ihr Blick an den exklusiven Geschäften entlang, die auf der rechten Seite der Empfangshalle sie wie Sirenen lockten. Nur zehn Minuten würde sie brauchen, um die nötige Garderobe und Schminke zu besorgen, damit sie sich als betuchte Frau maskieren konnte. Zehn Minuten und eine Kreditkarte, die nicht völlig ausgeschöpft wäre, wie es ihre war. Nein.
    So sehr sie auch das Gefühl von Seide oder Wildleder auf ihrer Haut genießen würde, es sollte nicht sein. So wenig wie ein Zimmer in diesem Hotel, wahrscheinlich vornehm kühl eingerichtet, mit frischen Schnittblumen und einem großen Bett, mit edlen Leinenlaken und einer makellos weißen Decke bezogen und darauf wartend, dass sie sich hineinlegte und es zu ihrem machte. Nein.
    Aber eine halbe Flasche Champagner in der Hotelbar? Ja. Das konnte sie sich beinahe leisten. Deshalb war sie hier. Lange, lange hatte sie auf diesen Augenblick gewartet und nicht ein einziges Mal dem Drang auch nur so weit nachgegeben, ein Bier hinunterzustürzen oder sich eine Margarita, einen Zombie oder Screwdriver zu gönnen. Seit ihrer Pubertät hatte sie es sich vorgenommen und immer daran gehalten: Sie würde ihre Jungfräulichkeit an genau dem Tag verlieren, da sie von Gesetz wegen Alkohol trinken dürfte, mit einundzwanzig. Nicht alt, aber auch nicht zu jung. Champagner trinken und sich in sexuellen Wonnen verlieren – beides zum allerersten Mal – waren ihr wie ein unschlagbarer Plan erschienen. Die Geduld wert. Aber leider haben es Pläne an sich, nicht aufzugehen.
    Was sie jedoch nicht davon abhielt, welche zu schmieden. Sarah hatte einen klaren Verstand; sie war klug, gewissenhaft und
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