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Reise im Mondlicht

Titel: Reise im Mondlicht
Autoren: Antal Szerb
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    In der Eisenbahn ging noch alles gut. Es begann in Venedig, mit den Gäßchen.
    Schon als sie mit dem Motoscafo vom Bahnhof stadteinwärts fuhren und vom Canal Grande in einen Seitenkanal abbogen, fielen
     Mihály an beiden Ufern die Gäßchen auf. Er achtete zwar noch nicht besonders auf sie, völlig eingenommen, wie er war, von
     der Venedighaftigheit Venedigs. Vom Wasser zwischen den Häusern, von den Gondeln, der Lagune, der rostrot-rosa Heiterkeit
     der Stadt. Mihály war nämlich zum ersten Mal in Italien, mit sechsunddreißig Jahren, auf der Hochzeitsreise.
    Im Lauf seiner lang geratenen Wanderjahre war er weit herumgekommen, hatte in England und Frankreich gelebt, doch um Italien
     hatte er immer einen Bogen gemacht, im Gefühl, daß die Zeit dafür noch nicht reif, er noch nicht so weit sei. Italien gehörte
     für ihn zu den Erwachsenendingen, wie das Zeugen von Nachkommen, und heimlich hatte er Angst davor, so wie er auch vor starkem
     Sonnenschein, Blumenduft und sehr schönen Frauen Angst hatte.
    Wenn er nicht geheiratet und beschlossen hätte, ein regelrechtes, mit einer italienischen Hochzeitsreise beginnendes Eheleben
     zu führen, dann hätte er diese Reise vielleicht bis zu seinem Lebensende aufgeschoben. Auch jetzt war es keine Italienreise,
     sondern eine Hochzeitsreise,also etwas ganz anderes.So,als Ehemann, durfte er herkommen. So war er von der Gefahr, die Italien
     darstellte, nicht bedroht. Dachte er.
    Die ersten Tage verliefen friedlich, zwischen ehelichen Freuden und gemäßigter Stadtbesichtigung. Nach der Art kolossal intelligenter
     und selbstkritischer Menschen bemühten sich Mihály und Erzsi, den richtigen Mittelweg zwischen Snobismus und Antisnobismus |8| zu finden. Sie rissen sich kein Bein aus, um alles zu tun, was der Baedeker vorschreibt, aber noch weniger gehörten sie zu
     den Leuten, die nach Hause fahren und einander stolz ansehen, während sie lässig bemerken:Ach, die Museen   … na, da waren wir natürlich nicht.
    Eines Abends, als sie nach dem Theater ins Hotel zurückkehrten, hatte Mihály das Gefühl, er würde ganz gern noch etwas trinken.
     Was, das wußte er nicht so genau, am ehesten war ihm nach einem süßen Wein zumute. Er erinnerte sich an den eigenartigen,
     klassischen Geschmack des Samosweins, den er in Paris, in einer kleinen Weinhandlung in der Rue des Petits Champs 7, oft getrunken
     hatte, und er überlegte sich, daß Venedig ja schon halbwegs Griechenland war und man bestimmt Wein von Samos oder vielleicht
     Mavrodaphne bekam, denn mit den italienischen Weinen kannte er sich nicht aus. Er bat Erzsi, allein hinaufzugehen, er komme
     gleich nach, er wolle nur rasch etwas trinken – wirklich nur ein Glas, sagte er mit gespieltem Ernst, denn Erzsi hatte ihn,
     ebenfalls scheinernst, zu Mäßigkeit ermahnt, wie es sich für die junge Ehefrau gehört.
    Er entfernte sich vom Canal Grande, an dem das Hotel stand, und geriet in die Gassen um die Frezzeria, wo auch jetzt noch
     viele Leute unterwegs waren, mit der seltsamen Ameisenhaftigkeit, wie sie die Bewohner dieser Stadt charakterisiert. Die Menschen
     bewegen sich hier immer nur entlang bestimmter Linien, wie die Ameisen, wenn sie den Gartenweg überqueren. Die anderen Gassen
     bleiben leer. Auch Mihály hielt sich an eine Ameisenstraße, weil er sich ausrechnete, daß die Bars und Fiaschetterien an den
     belebten Orten lagen und nicht im unsicheren Halbdunkel der leeren Gassen. Er fand auch zahlreiche Lokale, wo man trinken
     konnte, aber irgendwie paßte ihm keins. An jedem stimmte etwas nicht. Im einen saßen zu elegante Leute, im anderen zu einfache,
     und mit keinem konnte er das Getränk, das er suchte, in einen Zusammenhang bringen. Das hatte irgendwie einen heimlicheren
     Geschmack. Er begann sich einzureden, es gebe in Venedig nur ein einziges Lokal, wo man jenen Wein bekäme, und er müsse den
     Ort instinktiv finden. So geriet er in die Gäßchen hinein.
    |9| Ganz enge Gäßchen mündeten in ganz enge Gäßchen, und in welche Richtung er auch ging, wurden diese Gäßchen immer noch enger
     und noch dunkler. Wenn er die Arme ausbreitete, konnte er links und rechts die Hauswände berühren, die schweigenden Häuser
     mit den großen Fenstern, hinter denen sich, dachte er, ein geheimnisvolles und intensiv italienisches Leben abspielte. So
     nah abspielte, daß es fast schon indiskret war, nachts hier entlangzugehen.
    Was war das für eine merkwürdige Bezauberung, was für eine Ekstase, die
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