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Reise im Mondlicht

Titel: Reise im Mondlicht
Autoren: Antal Szerb
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gesucht.«
    Mihály erkannte zu seiner größtenVerwunderung János Szepetneki, und so plötzlich fiel ihm nichts anderes ein als: »Woher weißt
     du, daß ich hier bin?«
    »Im Hotel in Venedig haben sie gesagt, du seist nach Ravenna gefahren. Und wo wäre man in Ravenna nach dem Abendessen, wenn
     nicht auf der Piazza? Das war wirklich keine Hexerei. Ich bin von Venedig direkt hierhergefahren. Aber jetzt will ich mich
     ein bißchen setzen.«
    »Äh   … darf ich dich meiner Frau vorstellen«, sagte Mihály nervös. »Erzsi, dieser Herr ist János Szepetneki, mein ehemaliger Klassenkamerad,
     von dem ich dir   … glaube ich, noch nie erzählt habe.« Und er errötete heftig.
    János musterte Erzsi mit unverhüllter Abneigung, verbeugte sich, schüttelte ihr die Hand, wonach er sie nicht mehr zur Kenntnis
     nahm. Überhaupt sagte er nichts, außer um eine Limonade zu bestellen.
    Nach längerer Zeit sagte Mihály:
    »Na, red schon. Du hast doch bestimmt einen Grund, mich hier in Italien zu suchen.«
    »Ich erzähle es dann. Vor allem wollte ich dich sehen, weil ich gehört habe, daß du geheiratet hast.«
    »Ich dachte, du seist mir noch böse«, sagte Mihály. »Das letzte Mal, als wir uns in London in der ungarischen Botschaft getroffen
     haben, bist du aus dem Saal gelaufen. Aber klar, jetzt hast du keinen Grund mehr, mir böse zu sein«, fuhr er fort, als János
     nichts erwiderte. »Man wird ernsthaft. Alle werden ernsthaft, und allmählich vergißt man, warum man jemandem jahrzehntelang
     böse war.«
    »Du redest, als wüßtest du, warum ich dir böse war.«
    »Natürlich weiß ich es«, sagte Mihály und wurde wieder rot. »Dann sag’s, wenn du’s weißt«, sagte Szepetneki kämpferisch.
    |16| »Nicht hier   … vor meiner Frau.«
    »Das macht mir nichts aus. Sag’s nur ganz tapfer.Warum, meinst du, habe ich dich in London geschnitten?«
    »Weil du dich erinnert hast, daß ich einmal dachte, du hättest meine goldene Uhr gestohlen. Inzwischen weiß ich, wer sie gestohlen
     hat.«
    »Da siehst du, was du für ein Esel bist. Die Uhr habe ich gestohlen.«
    »Also doch?«
    »Na klar.«
    Erzsi war schon bis dahin unruhig auf ihrem Platz herumgerutscht, denn mit Hilfe ihrer Menschenkenntnis hatte sie János Szepetnekis
     Gesicht und Händen längst angesehen, daß er jemand war, der von Zeit zu Zeit eine goldene Uhr stahl, und sie preßte nervös
     ihre Handtasche mit den Pässen und den Reiseschecks an sich. Schon darüber, daß der sonst so taktvolle Mihály die Uhrengeschichte
     erwähnt hatte, war sie ziemlich verstimmt, aber die Stille, die jetzt eintrat, war erst recht unerträglich. Unbehaglicher
     geht’s kaum mehr: Einer sagt dem anderen, er habe ihm die Uhr gestohlen, und dann Schweigen   … Sie stand auf und sagte:
    »Ich gehe ins Hotel zurück. Die Herren haben ja gewisse Dinge zu besprechen   …«
    Mihály schaute sie äußerst gereizt an.
    »Bleib du nur da. Jetzt bist du meine Frau, jetzt betrifft dich das alles auch.« Und er wandte sich an Szepetneki und schrie
     ihn an:
    »Warum hast du mir dann in London die Hand nicht gegeben?«
    »Du weißt schon, warum. Wenn du es nicht wüßtest, wärst du jetzt nicht so wütend. Aber du weißt, daß ich recht hatte.«
    »Drück dich verständlich aus.«
    »Du verstehst es genauso, einen nicht zu verstehen, wie du es verstanden hast, die nicht zu finden, die verschwunden sind
     und die du nicht einmal gesucht hast. Deshalb hatte ich eine Stinkwut auf dich.«
    Mihály schwieg eine Weile.
    »Aber wenn du mich treffen wolltest, bitte, in London haben wir uns getroffen.«
    |17| »Ja, aber zufällig. Das zählt nicht. Übrigens weißt du ganz genau, daß es nicht um mich ging.«
    »Wenn es um jemand anders ging   … den hätte ich umsonst gesucht.«
    »Deshalb hast du’s gar nicht erst versucht, was? Obwohl du vielleicht bloß die Hand auszustrecken brauchtest. Aber du hast
     noch eine Chance. Hör zu. Ich glaube, ich habe Ervin gefunden.«
    Mihálys Miene veränderte sich schlagartig. Zorn und Verblüffung wichen einer freudigen Neugier.
    »Wirklich? Wo ist er?«
    »Genau weiß ich es noch nicht, aber er ist in Italien, in einem Kloster in Umbrien oder in der Toskana. Ich habe ihn in Rom
     gesehen, in einer Prozession,zwischen vielen Mönchen.Ich konnte nicht zu ihm hin, ich durfte ja nicht stören. Aber da war
     ein Priester, den ich kenne, und der hat gesagt, das seien Mönche aus einem Kloster in Umbrien oder in der Toskana. Das wollte
     ich
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