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Reihe der Versuche 05 - Versuch über den Pilznarren

Reihe der Versuche 05 - Versuch über den Pilznarren

Titel: Reihe der Versuche 05 - Versuch über den Pilznarren
Autoren: Peter Handke
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damals ziemlich menschenleeren Landschaft zwischen Paris und Beauvais in seine Geschichte vertieft saß, näherte mein alter Freund sich auf der kleinen, nur morgens und abends ein wenig befahrenen Straße. Ich erkannte ihn, vielleicht, weil ich ihn »irgendwie« erwartete, vielleicht auch, weil mein Gehör durch das konzentrierte Tun geschärft war, an seinen Schritten. Alter Freund? Gang eines Jungen, fast eines Kindes, nah an jenen Kinderhüpfschritten, die, gleichwo zu hören, mir seit je die lieblichste Musik ist.
    Ich erhob mich vom Tisch hier, an dem ich nun das Ende seiner Geschichte schreibe, und hielt ihm, bevor er noch geklopft odergerufen hatte, die Gartenmauertür auf, an die ich, gefügt aus in den nahen Steppen geklaubten Vorzeitmuscheln, die Hausnummer – höher als drei oder vier geht es nicht im weiten Umkreis – angebracht habe, und er ist, ohne eine Spur von Überraschung über solchen Empfang, in meinen, wie anders, seit jeher, frei nach Vergils Eklogen , glaube ich, »armen« Garten getreten. – Fehlte noch, daß du ihm eine Kerze ins Fenster stelltest für sein Kommen in der Nacht! – Das habe ich getan in den Nächten zuvor. – Und daß du ihn empfängst mit dem Salz der Gastfreundschaft. – So war es.
    Vor der Schwelle zum Haus, dem jahrhundertebewährten Steinschuppen, zögerte er, über die Höflichkeitsspanne weit hinaus, und so hatte ich Gelegenheit, ihn auf mich einwirken zu lassen. Auch ich habe ein Auge für Einzelheiten, obwohl für andere als er, und so bemerkte ich, daß seine Fingernägel nicht mehr durchwirkt von Schwarz waren,sondern so gepflegt, wie es bei seinesgleichen, den öffentlich Auftretenden, angemessen ist. Seine Stirn und Wangen waren heil, frei von den blutigen Schrammen, welche er sich in seiner Waldnarrenzeit täglich zugezogen hatte, und ebenso hielt er sich, unterstützt von der Eleganz seines sichtlich frisch gekauften Anzugs, anders als zuletzt, aufrecht, blickte so ostentativ wie prononciert (Fremdwörter, wie er sie in seinen Plädoyers gern verwendete) in Augenhöhe, ohne andererseits den Blick zu Boden oder seitwärts eigens zu meiden; er schien ihn jedenfalls nicht zu fürchten. Und zugleich schimmerte in den Winkeln seiner Augen wie eh und je der Verlorene Sohn.
    Von seiner Pilznarrenzeit haben wir nur am ersten Abend geredet. (Er bestand darauf, in dem winzigen Anbau zu übernachten, einem ehemaligen Verschlag für Werkzeuge, zu klein für ein Pferd, selbst fürs Behufen, wobei das Pferd halb im Freien steht, oder?)Wie um ihn zu beruhigen, habe ich erzählt, in der ganzen öden Landschaft während der bald drei Jahre, da ich hier hause, noch keinen einzigen Pilz, zumindest keinen verzehrbaren oder sonst suchwürdigen, entdeckt zu haben, der Untergrund sei Kalk und Gips – nichts für Edelwuchs –, und der Boden der kümmerlichen Inselwäldchen inmitten der unfruchtbaren Steppen bestehe aus nichts als Schutt, Sand und Grus – siehe die spärlichen Maulwurfshügel, die nirgendwo auch nur ein Körnchen der sonst so fettschwarzen Waldeserde aufwiesen – totes Geriesel, höchstens ein Einsprengsel verpappten, sauerstofflosen, eitergelben Lehms. Höchstens Boviste seien vielleicht da und dort noch zu finden, aber in denen, »ich brauche dir das nicht beizubringen«, sei jetzt am Winteranfang höchstens noch braunschwarzer Staub.
    Der Freund schien meine Beruhigung freilich gar nicht nötig zu haben; er überhörtesie. Ich verriet ihm auch nicht, daß ich gerade an seiner Geschichte saß (und ging); es war ihm im übrigen klar: zum Gegenstand meiner Arbeit (und meines Spiels) hatte Schweigen zu walten; »es genügt mir, dich am Tisch zu wissen, und aus der Ferne, vom Ende des Gartens aus, dich auch dort, nah am Fenster, zu sehen«, sagte er: »Das tut einem« – (er sagte nicht »mir«) – »gut.« Daß ich ihn am Tag seiner Ankunft zu ihm und den Pilzen befragt hatte, schien er eher meinem Bedürfnis der Ablenkung von meinem Thema zuzuschreiben; außerdem meinte er, die Pilze und er, das sei keine Geschichte wert, und schon gar kein Buch von meiner »Feder«; und einmal sah ich – das gehört eigentlich nicht hierher –, wie er das eine Pilzbuch im Haus beim Vorbeigehen umdrehte, um das Titelbild unsichtbar zu machen. In meiner Phantasie warf er das Buch ins Kaminfeuer. Oder mit den einzeln herausgerissenen, -gefetzten Blättern, diese zerknüllt, das Feuer überhaupt erst entzünden.
    An einem anderen Abend rückte er, vor dem Feuer, damit
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