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Reif für die Insel

Reif für die Insel

Titel: Reif für die Insel
Autoren: G Pauly
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unserem Dichter noch ein Extrabier«, grölte Werner.
    »Wenn du wenigstens was Sozialkritisches schreiben würdest«, nörgelte Rolf.
    »Antikriegstexte oder so was«, ergänzte Elena.
    Und sogar Bärbel, deren Vater Lehrer war und die damit einen denkbar schlechten Hintergrund für das Aufbegehren gegen die etablierte Gesellschaft bot, sagte: »Liebesgedichte sind kleinbürgerlich, regelrecht spießig.«
    Spießig und bürgerlich, diese Begriffe waren soeben zu schlimmen Schimpfwörtern geworden. Kleinbürgerlich war das Allerschlimmste. Damals gehörten sie dazu, zu den kleinbürgerlichen Spießern, die ganze Clique, aber niemand wollte es sehen, und jeder bildete sich ein, schon zur Revolution zu gehören, wenn er die Haare lang trug und sich nur noch selten wusch. Und wohl dem, der einen echten Arbeiter im Stammbaum hatte! Am besten der Vater. Darin war Paul zum Glück allen anderen voraus.
    Nur Sophia und Uschi schwiegen. Sophia, die gelegentlich über Rassendiskriminierung lamentierte, trug diesmal nichts zu der Debatte bei, und Uschi, die sich gern über Klassenunterschiede ereiferte, blieb ebenfalls still. Damals wusste Paul nicht aus welchem Grund.
    Warum hatte er nicht geschafft, was Wolf Biermann gelungen war? Mit Scharfsinn, Wortgewalt und Poesie alles |26| andere zum Schweigen zu bringen! Biermann hätte sich nicht übertönen lassen von der Frage, wie viele Grillwürste jedem zustanden, er hätte sich behauptet und hätte wiederholt, was er zu sagen hatte. So lange, bis man ihm zugehört und ihn ernst genommen hätte. Wolf Biermann hätte sich auch nicht auslachen lassen. Er hätte weiter gesungen, weil er wusste, dass er recht hatte. Paul fand auch, dass er recht hatte, aber er schaffte es trotzdem nicht, sein Gedicht zu verteidigen. Er musste es billigen Grillwürsten und warmem Dosenbier opfern.
    Damals war wohl die Angst entstanden, unter der er vierzig Jahre später noch litt. Die Angst, etwas Wichtiges zu sagen, was in dem Augenblick, in dem er es sagte, seine Bedeutung verlor. Was in seinem Kopf war, was er zu Papier brachte, hatte Gewicht. Aber wenn er es aussprach, wurde es verramscht. Diese Überzeugung hat sich vor vierzig Jahren in ihm festgesetzt und ihn nie wieder verlassen.
    Trotzdem hat er sich für Sylt entschieden. Ausgerechnet für Sylt!
     
    Was für ein Sommertag! Still und bewegungslos steht er über Braderup. Bei dieser Hitze ist es hier noch ruhiger als sonst. Sonne erzeugt Stille, das ist überall so, auch hier auf Sylt. Wer die Hitze liebt, ist längst zum Strand gefahren, wer den Schatten sucht, liegt im Garten hinter seinem Haus und achtet darauf, sich möglichst wenig zu bewegen. Die Hitze hat die Insel gelähmt, sogar den Wind. Kein Luftzug auf Sylt! Habe ich das jemals erlebt? Nur, wenn ich mich neben meinen Wagen stelle, mich hoch aufrichte, die Arme |27| ein wenig vom Körper spreize und mich auf das konzentriere, was vom Meer kommt, spüre ich ganz schwach einen kühlen Hauch. Es wird Zeit, zur anderen Seite der Insel zu fahren. Der Westwind ist, da er übers Meer kommt, auch im Hochsommer erfrischend, selbst dann, wenn er kaum zu spüren ist.
    Also los, die Badetasche auf den Rücksitz, die Sonnenbrille auf die Nase und die Kappe mit dem großen Schirm auf den Kopf! Es ist die dritte, die ich mir in diesem Sommer gekauft habe, die beiden anderen sind mir davongeflogen.
    Georg hätte gesagt: »Da siehst du, wie unpraktisch ein Cabrio ist.«
    Georg schätzte geschlossene Fenster und eine gut funktionierende Klimaanlage. Wahrscheinlich habe ich mir deshalb schon am Tag nach der Scheidung ein Cabrio gekauft. Die Abfindung, die Georg mir zahlen musste, war ja nicht von Pappe.
    Elena war zwar in diesem Punkt anderer Meinung, aber auch sie riet mir, mich für ein Cabrio zu entscheiden. »Du fängst jetzt ein neues Leben an. Also musst du alles anders machen. Und da Georg dir nie ein Cabrio kaufen wollte, muss jetzt eins her, das ist doch klar!«
    Es kam mir vor, als wäre sie drauf und dran, wie vor vierzig Jahren »Ab mit den alten Zöpfen!« zu rufen. »Schluss mit der Lustfeindlichkeit! Wer zweimal mit demselben pennt, gehört schon zum Establishment!«
    Dabei war Elena damals die Erste, die schon Anfang der siebziger Jahre ihre Meinung änderte, als sie einen Mann heiratete, der ganz eindeutig zum Establishment gehörte.
    |28| »Autsch!« Man soll ein Cabrio mit schwarzen Ledersitzen nicht in der prallen Sonne stehen lassen. Erst recht nicht, wenn man kurze Shorts
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