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Reif für die Insel

Reif für die Insel

Titel: Reif für die Insel
Autoren: G Pauly
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wäre er ein Doppelgänger von George |8| Clooney. Seinen Bauch sieht sie anscheinend nicht, die grauen Haare, die Halbglatze, die Tränensäcke auch nicht.
    »Ist doch klar«, ereifert sich Elena. »Sie sieht nur sein Geld. Hättest du dafür gesorgt, dass er keins mehr hat, würde sie jetzt nicht auf Heirat drängen.«
    Aber was geht mich das an? Gar nichts! Zum Glück! Wütend macht mich nur, dass ich die Alleinherrschaft über dieses Ferienhaus einem Klischee verdanke. Ausgerechnet eine Jüngere und ausgerechnet seine Sekretärin! Wer hätte gedacht, dass mein Leben mal einem Groschenroman ähneln wird? Und dass ich beim Happy End nicht mehr dabei sein würde!
    Fenster auf und kräftig durchlüften! Klischees stecken voller Mief. Raus mit ihnen! Warum denkt man beim Happy End eigentlich immer an zwei Menschen, an Mann und Frau? Am Ende einer dreißigjährigen Ehe kann man auch allein ziemlich happy sein. Gerade dann! Ein Happyend ganz für mich allein! Eigentlich gar nicht schlecht.
    »Moin, moin!«
    Ja, begafft sie ruhig, die schönen Ferienhäuser in Braderup. Dieses Haus gehört mir. Mir ganz allein! Da staunt ihr, was?
     
    Plötzlich würde er doch gerne an der Reling eines Schiffes stehen und der Insel entgegenblicken, die Häuser zu sich heranwachsen sehen und beobachten, wie die Menschen Gestalt annehmen. Auf die Insel zufahren, statt sie sich stückweise präsentieren zu lassen, jedes Stück so groß und rechteckig wie die Windschutzscheibe seines Autos.
    |9| Paul konzentriert sich nun auf das Watt, blickt konsequent durch die Seitenscheibe. Der Insel wird er sich erst stellen, wenn er sie erreicht hat. Dieser Insel, die sein Leben verändert hat, dieser Insel, der er die Zähne zeigen wird. Ich kann auch anders, Sylt! Die Zeit der Abrechnung ist gekommen. Wirst dich wundern. Ihr alle werdet euch wundern.
    Das seichte Wasser, das auf dem Wattboden steht, hat die gleiche Farbe wie der Himmel. Es ist, als flösse er ins Wattenmeer oder als stiege das Meer in den Himmel auf. Gewaltig ist das Bild, das der Zug durchschneidet, so riesig, dass sich in Paul zwei Empfindungen umkreisen und belauern. Freiheit ist die eine, Verlorenheit die andere. Klein fühlt er sich angesichts dieser Dimension, aber auch groß als ein Teil von ihr. Und nur daran will er denken! Nie wieder wird er sich klein machen lassen. Hat er das nötig? Nein, hat er nicht!
    Als Sechzehnjähriger hat er nichts von den Dimensionen gespürt. Er war mit seiner Clique nach Sylt gefahren, um etwas zu erleben. Und vor allem deshalb war er nach Sylt gefahren, weil auch Sophia mitkommen wollte. Sophia mit den großen grauen Augen und dem frechen Pferdeschwanz. Wenn sie verlegen war, griff sie sich an den Hinterkopf und korrigierte den Sitz ihres Haargummis; wenn sie lachte, schlug sie die Hand vor den Mund, als schämte sie sich der Lücke zwischen ihren Vorderzähnen. Paul fand diese Lücke wunderhübsch. Als sie nach Sylt aufbrachen, trug sie eine himmelblaue Hose, auf die sie Hippie-Blüten gemalt hatte, und einen sehr knappen Pulli, der erst nach der Abreise |10| unter einer weiten Jacke zum Vorschein kam. Sophias Eltern waren wahrscheinlich schon an der engen Hose ihrer Tochter verzweifelt, der Pulli hätte womöglich zu einer Stornierung der Reise geführt.
    Sie hatten das Abteil verlassen und waren auf den Gang hinausgetreten. »Mal eben eine Fluppe rauchen.«
    Solche Sätze tun gut, wenn man sechzehn ist. Vor vierzig Jahren erst recht, als es noch viel länger dauerte, erwachsen zu werden, und es viel wichtiger war, als erwachsen zu gelten. Wenn man sich ans offene Fenster eines Zuges stellte und eine Fluppe rauchte, dann war man erwachsen, ganz klar, auch wenn man wie Paul keine Nietenhosen besaß, sondern in der Cordhose des älteren Bruders nach Sylt fuhr. Werner war sogar in einer rotkarierten Glockenhose zum Bahnhof gekommen und von allen beneidet worden. Werner musste sehr liberale Eltern haben, wenn sie ihren Sohn in Glockenhosen herumlaufen ließen. Vor allem die Väter hielten ihre Söhne für unmännlich, die diese bunten weiten Hosen trugen. Aber vermutlich waren Werners Eltern gar nicht liberal, sondern einfach nicht gefragt worden. Wer sich die Meinungen seiner Eltern anhörte, war ja schon hoffnungslos bürgerlich. Und bürgerlich genannt zu werden, war eine richtige Schande.
    Die letzte Klassenfahrt hatte nach London geführt, und in der Carnaby Street war viel Taschengeld auf den Kopf gehauen worden. Paul war schon froh
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