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Reif für die Insel

Reif für die Insel

Titel: Reif für die Insel
Autoren: G Pauly
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gewesen, dass er überhaupt mitkommen konnte. Neidlos hatte er zusehen können, wie die anderen sich dort als Hippies verkleideten, sich mit Parkas eindeckten, an die sie Hammer-und-Sichel-Buttons |11| steckten, und mit Blumen bemalte T-Shirts kauften. Das Einzige, was Paul sich leisten konnte, waren lange Haare. Und er war entschlossen, sich einen richtigen Wolf-Biermann-Schnauzer wachsen zu lassen, wenn er sicher sein konnte, dass daraus mehr wurde als ein dünnes Oberlippen-Bärtchen. Aber Paul litt nicht unter seinen beschränkten finanziellen Möglichkeiten. Was seine Klassenkameraden so wichtig fanden, interessierte ihn sowieso nicht. Er stimmte zwar ein, wenn sie schrien »Bürger, kommt auf den Balkon, unterstützt den Vietcong!«, aber im Grunde wollte er nichts mit diesem lauten Protest zu tun haben. Paul war ein Mensch der leisen Töne, und er misstraute dem Geschrei der Freunde, die plötzlich Klassenkämpfer heißen wollten. Eigentlich wollten sie damit ja auch nur erwachsen werden, so wie Paul mit der Fluppe.
    »Ich habe ein Geschenk für dich«, sagte er, als er endlich eine lässige Haltung gefunden hatte, den rechten Ellbogen auf die obere Kante des zur Hälfte heruntergelassenen Fensters gelehnt, in der linken Hand die Zigarette.
    Es gefiel ihm, dass Sophia rot wurde, das machte seine eigene Verlegenheit erträglicher. »Du sollst kein Geld für mich ausgeben«, sagte sie und pustete den Zigarettenrauch von sich, ohne ihn inhaliert zu haben. »Ich weiß doch, dass du Zeitungen austragen musstest für die Fahrt nach Sylt.«
    Paul schüttelte den Kopf. »Es hat nichts gekostet.«
    Sophia sah ihn erstaunt an. »Du hast etwas gebastelt?«
    Paul lachte. »So ähnlich.«
    »Wann gibst du es mir?«
    »Wenn wir allein sind.«
    |12| Er konnte ihren großen fragenden Augen nicht standhalten, drehte sich zum Fenster und sah hinaus. Wie hatte das Watt damals ausgesehen? War Ebbe oder Flut gewesen? Hatten die Muscheln unter der Sonne geglitzert, die Wattwürmer ihre Spiralen in den Schlick gedreht? Oder hatte sich bereits dieser glatte See gebildet, der sich jetzt vor seinen Augen ausbreitet? Paul kann sich nicht erinnern. Er hat ja nur aus dem Fenster geblickt, um Sophia nicht ansehen zu müssen. Nun war es heraus! Er hatte ihr gesagt, was er schon lange sagen wollte, hatte den ersten Schritt getan, auf den der nächste folgen musste. Es gab kein Zurück mehr, und das war gut so. Endlich würde er den Mut haben, ihr sein Geschenk zu präsentieren.
    »Irgendwann werden wir ja mal allein sein können«, fügte er an und schnippte die Zigarette aus dem Fenster. Das hatte er oft geübt, und diesmal gelang es ihm richtig gut. Er nahm Sophia, die sich nach einem Aschenbecher umsah, die Zigarette ab und schnippte sie ebenfalls aus dem Fenster. Auch diesmal gelang es ihm hervorragend.
    »Lass dich überraschen«, sagte er und wusste, dass es unglaublich lässig klang. Cool, würde man heute sagen, aber damals gab es dieses Wort nur im Englischunterricht. Nein, Paul war lässig, als er Sophia zurück ins Abteil schob. Er schaffte es sogar, Uschis Blick zu erwidern, ohne etwas zu sagen, was sich wie eine Entschuldigung angehört hätte.
    Uschi schien zu spüren, dass Paul und Sophia durch eine Erwartung miteinander verbunden wurden. Soll sie doch, dachte Paul, sie kann nichts von mir verlangen, nur weil ich einmal schwach geworden bin. Trotzdem ärgerte er sich |13| jetzt, dass er ihr ein Geheimnis verraten hatte: Die Beatles interessierten ihn nicht sonderlich und Bob Dylan auch nicht. Aus Sport machte er sich nicht viel, obwohl alle anderen es glaubten, weil er gut schwimmen konnte und sogar Rettungsschwimmer geworden war. Nein, dass Uschi wusste, womit er sich am liebsten beschäftigte, gab ihr nicht das Recht, danach zu greifen. Hatte sie ihm etwas vorgesungen, als sie behauptete, die Texte aller Lieder von Esther und Abi Ofarim zu kennen? Na also!
    Paul ließ sich in seinen Sitz fallen und zwinkerte Sophia zu, ohne sich darum zu kümmern, dass Uschi die Lippen aufeinander presste und aus dem Fenster starrte. Dann sah er Werner triumphierend an. Von wegen, Mädchen freuen sich über Kinokarten, Hippie-Blütenkränze oder Schallplatten! Einfallslos, solche Geschenke! Langweilig und banal! Was er Sophia schenken würde, war etwas ganz Besonderes, etwas, was sie niemals von einem anderen bekommen hatte. Danach würde er sie küssen dürfen, ganz sicher. Und dann würde er sie fragen, ob sie mit ihm gehen wolle. Paul
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