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Reif für die Insel

Reif für die Insel

Titel: Reif für die Insel
Autoren: G Pauly
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Augenblick, den er sich ausgemalt hatte, schien genauso feierlich zu werden, wie er gehofft hatte.
    »Was ich dir sagen will …« Nur nicht die Stimme senken! Die Überschrift musste sich an die erste Zeile schmiegen. »… das klopft mein Herz, das atmet mein Mund …«
    »Wollt ihr am Grillabend teilnehmen?«, fuhr da eine Stimme aus einem der Fenster. »Ihr müsst euch bis sieben entscheiden, danach könnt ihr nur noch Butterbrote bekommen.«
    Paul drehte sich nicht um, sah nur in Sophias Gesicht. Sie schüttelte so jäh den Kopf, als wollte sie eigentlich nicken.
    »Fragt eure Freunde! Und sagt mir dann möglichst schnell Bescheid!«
    Ob dem Herbergsvater klar war, was er anrichtete? Ein grober Klotz, der eine Gedichtzeile zerschnitt wie eine Grillwurst. Dass es in diesem Fall nicht reichte, die beiden Teile aneinander zu schieben und den Schnitt mit Zigeunersauce zu übergießen, um wieder etwas Ganzes vor sich zu haben, darüber machte er sich keine Gedanken.
    »… das klopft mein Herz, das atmet mein Mund. Es schmiegt sich in die Wölbung deines Leibes …«
    |23| »Das Wasser ist super! Nicht zu kalt, nicht zu warm, genau richtig!«
    Als er Uschis Stimme erkannte, wusste er, dass alles vorbei war. Das Gedicht war nicht mehr zu retten. Sein Geschenk wurde für Sophia zu etwas, was Omas handgeknüpfter Teppich für seine Mutter gewesen war. Peinlich! Rolf und Werner hätten vielleicht gemerkt, dass sie störten, und sich zurückgezogen, Bärbel und Elena hätten sich so lange die Füße abgetrocknet, bis Pauls Stimme wieder die alte gewesen wäre und Sophias Miene die feierliche Erwartung verloren hatte. Aber nicht Uschi. Sie fragte zwar: »Störe ich?«, wartete aber nicht auf eine Antwort. Und als sie in die Küche lief, um sich etwas zu trinken zu holen, war sie schon zu lange da gewesen. Und vor allem: Sophia hatte bereits das erste Mal gekichert. In ihr Gesicht war dunkelrote Verlegenheit gestiegen, Verunsicherung war dazugekommen, als Uschi mit ihren flinken Augen der Situation auf den Grund ging. Und schließlich erschien sogar Ablehnung in ihrer Miene. Am Ende konnte Paul das eine nicht mehr vom anderen unterscheiden. Als Sophia zum zweiten Mal kicherte, musste er einsehen, dass sie sein Geschenk nicht mehr wollte. Sie kicherte erneut, als Uschi mit einer Flasche Regina aus der Küche kam, und kicherte in einem fort, als auch die anderen vom Strand zurückkehrten. Wenn Mädchen kicherten, konnte alles mögliche dahinter stecken, Zustimmung, Scheu, Zurückweisung oder noch vieles mehr, was meistens nur Mädchen verstanden. Aber als Sophia es zuließ, dass Uschi sich des Gedichtes bemächtigte, wusste Paul, was er von ihrem Gekicher zu halten |24| hatte. Dass er gerade in dem Augenblick, in dem Uschi ihm das Blatt aus der Hand nahm, heftig niesen und dann auch noch feststellen musste, dass er kein Taschentuch dabei hatte, war auch schon egal. Und dass Sophia noch schriller kicherte, als er den Ärmel seines Hemdes benutzte, darauf kam es ebenfalls nicht mehr an.
    Er hatte sie aufwühlen wollen, wie er selbst von Wolf Biermann aufgewühlt worden war. Nicht, dass er sich mit Wolf Biermann vergleichen wollte! Höchstens ganz leise, unhörbar, tief in sich drin. Er wollte mit seinem Gedicht nicht kritisieren, glossieren, enthüllen oder mahnen. Er wollte sich ausdrücken auf eine ganz besondere Weise, wollte Sophia mit schönen Worten bewegen und ihr Herz angreifen.
    »Warte nicht auf bessere Zeiten, warte nicht mit deinem Mut …«, so hatte Wolf Biermann gesungen. Und Paul wollte es so halten wie er. Nicht warten, sondern den Mut haben zu handeln. Sophia nicht zeigen, was sie ihm bedeutete, sondern es ihr sagen. Aber nicht mit seinen Worten, nein. Mit den Worten der Poesie wollte er es ausdrücken, mit Worten, die sie nie vergessen, die niemals ein anderer für sie finden würde.
    Trotzdem endete das, was er Sophia sagen wollte, eine Stunde später auf dem Holzkohlengrill, wurde mit Ketchup und Senf bekleckert und schließlich mit billigem Dosenbier heruntergespült. Dass es gelungen war, dieses Bier in die Jugendherberge zu schmuggeln, war wichtiger geworden als das, was Paul Sophia sagen wollte. Und die Frage, wer am meisten von dem Bier vertrug, wurde zum Allerwichtigsten. |25| Am Ende war es Sophia, die am wenigsten vertrug, der schon schlecht wurde, bevor Uschi sich an Paul heranmachte. Der Mut, um den er lange ringen musste, auf den er nicht warten wollte, hatte sich nicht bezahlt gemacht.
    »Gebt
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