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Reich und tot

Reich und tot

Titel: Reich und tot
Autoren: dtv
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in denen Korruption, Nepotismus und juristische Willkür an der Tagesordnung waren. Länder, in denen Folter eine gängige Befragungstechnik darstellte und immer weiter verfeinert wurde. Aber alles war relativ, das wusste er. Er war kein Sozialarbeiter oder Psychotherapeut: Sein Job bestand darin, die Schuldigen zu fassen. Und so schickte er Kevin Holland und Chris Parr zurück in ihre Zellen und ließ sie bis kurz vor Mitternacht dort schmoren. Wendy Pelham ebenso. Wer sollte ihm schon vorschreiben, welche notwendigen Ermittlungen er in der Zwischenzeit anzustellen hatte? Wer sollte etwas gegen sein Recht einwenden, erst wieder mit ihnen zu sprechen, wenn ihm danach war? Wenn es den Erfordernissen der Untersuchung am besten entsprach? Erste forensische Ergebnisse mochten bereits um sechs verfügbar sein, aber natürlich brauchte ein einfacher Polizist, auch ein erfahrener, Zeit, um die komplexen wissenschaftlichenAusführungen genau zu durchdenken und praktische Schlüsse daraus zu ziehen. Und schließlich wurden den dreien ja auch nicht die ihnen zustehenden Telefongespräche verweigert, sie bekamen zu trinken, wurden verköstigt und zuvorkommend behandelt.
    Allerdings blieben sie eingesperrt, weggeschlossen, unfrei. Wenn zehn Stunden so waren, wie fühlten sich dann zehn Tage an? Oder zehn Jahre? Lass sie ein bisschen schmoren, alter Junge, sagte er zu Kerr. Lass die Mistkerle ruhig etwas mürbe werden.

32
    Der Wachhabende brachte Chris Parr an diesem Mittwochabend gegen zwanzig nach elf noch einmal eine Tasse Tee.
    »Ich glaube, er will gleich wieder mit Ihnen sprechen«, sagte der Sergeant.
    »Danke, Mann«, sagte Parr, der nach vorne gebeugt auf dem Ende der Bank saß, die dünnen Beine von sich gestreckt.
    Es war alles ein großer Spaß gewesen, aber nun schien die Sache aus dem Ruder zu laufen. Nicht, dass Mortimer es nicht verdient hätte, das hatte er gleich doppelt und dreifach: Er hatte seine Frau geschlagen, war ein Rad der weltweiten Unterdrückungsmaschinerie gewesen, ein einziger, stinkender Scheißhaufen. Aber vielleicht war der Preis doch etwas hoch, der Kollateralschaden
zu
groß.
    Wenn die Polizeiexperten ihre Zähne erst tief genug in besagten Laptop gruben, den sie bislang wohl noch für Snakes’ hielten, würde nach und nach alles herauskommen. Im Augenblick glaubten die Bullen noch, dass er und die anderen mit Aktion & Widerstand
kommuniziert
hatten. Aber bald schon würden sie genauer hinsehen und feststellen, dass sie Aktion & Widerstand
waren.
Sie hatten nicht jemand anderen dazu gebracht,Mortimer Hass-Mails zu schicken, sondern es selbst getan. Irgendwann würde es einem von ihnen einfallen – Jacobson vielleicht, dem kleinen dicken Ritter   –, ernsthaft in Faith Lawsons Vergangenheit zu graben. Und dann würde ihnen aufgehen, dass sie mit ihrem Summa-cum-laude-Abschluss in Computerwissenschaften für eine Zeitarbeiterin reichlich überqualifiziert war.
    Er nahm einen guten, großen Schluck Tee. Es war pures Glück gewesen, reiner Zufall: dass Faith die Anzeige in der Job-Kartei der Office Angels aufgefallen war und dass sie vorgeschlagen hatte, sich für die Stelle zu bewerben.
Infiltrieren nennt man das, oder?,
hatte Snake geschwärmt. Das war alles okay gewesen, Mann, und noch einiges mehr. Und jetzt war es die »Sie-kommen-aus-dem-Gefängnis-frei«-Karte, wenn auch nicht für alle von ihnen.

33
    Dreiundzwanzig Uhr fünfundvierzig. DS Kerr und Jacobson sahen zu, wie Kevin Holland nach einer weiteren Gesprächsverweigerung aus dem Vernehmungsraum geführt wurde.
Ich habe nichts zu sagen, kapieren Sie das nicht?
Ein paar Minuten später kam Chris Parr herein. Er setzte sich auf den leeren Stuhl neben seinem Pflichtverteidiger und bat Jacobson um eine Zigarette. Jacobson gab ihm eine, nicht ohne sich selbst eine anzustecken. Kerr und der nichtrauchende Verteidiger tauschten einen Blick aus. In Amerika, dachte Kerr, könnte er seinen Arbeitgeber bestimmt verklagen, weil der seine Gesundheit durch die Zusammenarbeit mit Jacobson gefährdete.
    Parr bestand darauf, dass Holland mit der Website nichts zu tun habe. Das sei das Erste, was er sagen wolle: Kevin habe nichts damit zu tun. Er habe ihnen nur den Knüppel gezeigt, den er in Mortimers Haus gefunden habe. Wenn er ihn doch nur dagelassen hätte, sagte Parr. Aber das habe er nicht, und so hätten sie sich darum kümmern müssen. Das sei am Montagmorgen gewesen. Das habe sie umgehauen, alle drei, das gebe er zu. Sie hätten nicht
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