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Rebellische Herzen

Rebellische Herzen

Titel: Rebellische Herzen
Autoren: Christina Dodd
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südlich der Türkei. Das klang nach Kamelen, die ein Meer aus Sand durchquerten, nach Beduinen und Tausendundeiner Nacht. Es schien Charlotte unvorstellbar, dass dort englische Kinder aufgewachsen sein sollten, und sie verstand zum ersten Mal, warum Adorna ihre Enkelkinder als Barbaren bezeichnet hatte. »Wie sind sie dort hingeraten? Und wie wieder zurück?«
    »Fragen Sie lieber, wie mein Sohn Wynter dort hingeraten ist.«
    Adorna wirkte so verloren, dass Charlotte sie am liebsten getröstet hätte. Sie hatte also ihren Sohn verloren. Welch eine Tragödie. Dann fiel ihr der ungewöhnliche Vorname auf. »Wynter?«
    Ein Bild schoss ihr durch den Kopf, ein Bild, das sie verdrängt hatte, seit sie Porterbridge Hall verlassen hatte. Der junge Wynter beim Tanztee, groß und blond, so gut aussehend, dass die Mädchen in Ohnmacht fielen. Und Tante Piper hatte ihr spöttisch erklärt:
Er hält sich für einen jungen, blonden Lord Byron.
So wie Wynter sich die blonden Strähnen ins Gesicht fallen ließ, hatte Piper wohl recht gehabt. Auch seine merkwürdigen, dunklen Wimpern und Brauen hatten ihn von all den jungen Langweilern unterschieden, und die braunen Augen schienen manchmal wild und dann wieder grüblerisch. Die zwölfjährige Charlotte hatte sich unsterblich in ihn verliebt. Aber er war ganze zwei Jahre älter gewesen und er hatte keine Notiz von ihr genommen. Sie hatte ihn niemals wieder gesehen.
    »Wynter … ist Ihr Sohn?«, fragte sie.
    Adorna schien erfreut. »Kannten Sie ihn?«
    »Ich glaube, ich habe ihn einmal gesehen, ja. Aber ich dachte, er sei -«
    »Davongelaufen? Das ist er. Er hat den Tod seines Vaters nicht verkraftet«, sagte Adorna. »Sie wissen ja, dass Viscount Ruskin um einiges älter war als ich.«
    Charlotte erinnerte sich vage an den Klatsch. Viscount Ruskin war ein ausgebuffter Geschäftsmann gewesen, der Typ Mann, den die Aristokraten zu verachten pflegten. Aber auf seine alten Tage hatte er dem König einen großen Gefallen getan, und der hatte ihn daraufhin – im festen Glauben, dass der alte Mann keine Nachkommen in die Welt setzen würde – in den Adelsstand erhoben. Worauf Viscount Ruskin prompt die schönejunge Adorna geheiratet und einen Erben gezeugt hatte.
    Viscount Ruskin war im Alter von neunzig Jahren gestorben, und seine Heirat hatte einen einzigen endlosen Skandal provoziert. Aber Ruskin und Adorna waren so reich gewesen, dass niemand es gewagt hatte, sie zu schneiden.
    »Mein Mann hatte ein erfülltes, glückliches Leben, aber an Wynters fünfzehntem Geburtstag ist er von uns gegangen. Wynter war so aufgebracht über seinen Tod, dass er sich nach der Beerdigung sogar mit ein paar anderen Burschen geprügelt hat.«
    Charlotte konnte sich auch daran noch erinnern. Ihr Cousin Orford, die rattenhafteste Kreatur, die je gelebt hatte, war blutend aber grinsend nach Hause gekommen und hatte vor Freude gewiehert, als Wynter dann verschwand.
    Adorna blickte zur Kutsche hinaus. »Am nächsten Tag war Wynter fort.«
    Charlotte sah von Adorna nur noch die Hutfedern, aber sie hörte den Schmerz in ihrer Stimme.
    »Er hat das Abenteuer gesucht.« Die Federn schlugen hin und her, während Adorna über die Torheiten ihres Sohnes nachdachte. »Und er hat es auch gefunden. Nach vielerlei Eskapaden wurde er schließlich als Sklave an einen primitiven Karawanenführer verkauft.«
    Charlotte wusste nicht, ob sie lachen oder in Ohnmacht fallen sollte. Der junge, grüblerische Adonis war in die Sklaverei
geraten? Sie achtete nicht weiter
auf die nächste Kutsche, die ihnen entgegenkam. »Gütiger Himmel, Mylady, haben Sie gewusst, was mit ihm passiert ist?«
    »Adorna«, korrigierte Lady Ruskin geistesabwesend. »Nein. Stewart – das ist der Sohn vom Cousin meines Mannes – hat seine Spur bis Arabien verfolgt und sie dann verloren. Jahre vergingen ohne eine einzige Nachricht. Aber ich wusste, dass er am Leben war.«
    Schon kam ihnen die nächste Kutsche entgegen. Adorna runzelte besorgt die Stirn.
    Sie schaute Charlotte mit großen, blauen Augen an. »Ich bin mir sicher, dass man spürt, wie der Vorhang zwischen dieser und der nächsten Welt zerreißt, wenn ein geliebter Mensch stirbt. Meine Tante Jane schimpft mich deshalb eine Romantikerin. Und ich nehme an, dass Sie ihr beipflichten, Charlotte.«
    »Nein, das tue ich nicht.« Charlottes Eltern waren nicht weit von hier entfernt ums Leben gekommen, und einen Augenblick lang war sie wieder die verstörte Elfjährige, die sich unter ihrem Bett
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