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Rau ist die See ...

Rau ist die See ...

Titel: Rau ist die See ...
Autoren: S Hogan
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gerade Dinner-Zeit, außerdem herrschte leichter Nieselregen. Kein anderer Mensch war in der Nähe. Ich wusste nicht, wer mir hätte helfen sollen – im Fall des Falls … Dann war der Typ plötzlich verschwunden. Als wäre er über Bord gesprungen! Okay, ich habe für einen Moment die Augen zugemacht. Ich hatte mehr Glück als Verstand, schätze ich.“
    Ann seufzte. „Und jetzt habe ich keinen Plan, was ich tun soll. Am liebsten würde ich dem Kapitän melden, was passiert ist. Aber andererseits – was ist denn schon großartig geschehen? Der Vermummte hat mir nur gedroht, mir aber kein Haar gekrümmt. Ich meine, ich will hier nicht als hysterisch abgestempelt werden. Sonst heißt es nachher noch, dieses Millionärstöchterchen sieht schon Gespenster, um sich aufzuspielen. Nein, ich werde jetzt erst einmal die Füße stillhalten. Vielleicht gibt es ja auch eine ganz harmlose Erklärung.“
    Anns Gesicht hatte ängstlich ausgesehen, während sie diesen Tagebucheintrag gesprochen hatte. Die Stimme war sehr leise. So, als hätte Ann befürchtet, belauscht zu werden. Ihr Blick war unstet gewesen, außerdem wackelte die Kamera. Dafür gab es eine ganz einfache Erklärung: Anns Hände hatten während der Aufzeichnung gezittert.
    Oder interpretierte Jade zu viel hinein? Sie war müde und abgespannt. Ihr erster Tag auf der MS Kyrene war anstrengend gewesen. Erst das Zusammentreffen mit Henry, die Geschichte über seine verstorbene Schwester, dann diese Roxanne – und morgen lag ein längerer Tag vor ihr. Kurz entschlossen schaltete Jade die Kamera aus. Sie hatte noch nicht alles gesehen, aber Stoff zum Nachdenken hatte sie fürs Erste genug.
    Ob Ann diese dunkle Gestalt wirklich gesehen hatte?
    Ja. Die Beklemmung hatte Ann ins Gesicht geschrieben gestanden. Ann war wirklich beunruhigt gewesen.
    Plötzlich fühlte Jade sich ihr auf merkwürdige Art verbunden. Sie selbst wäre wahrscheinlich auch nicht zum Kapitän gegangen, um den Vorfall zu melden. Animateurin sein, das war nun einmal ein stressiger Job – man durfte auf keinen Fall in Verdacht geraten, nicht belastbar zu sein oder herumzuzicken. Genau diesen Eindruck hatte Ann vermeiden wollen. Und deshalb war sie mit einer scheinbaren Kleinigkeit nicht zum Kapitän gerannt.
    Unwillkürlich begann Jade damit, sich mit Ann zu vergleichen. Sie waren ungefähr gleich alt und arbeiteten als Animateurinnen. Doch damit hörten die Gemeinsamkeiten auch schon auf – oder?
    Während Ann aus sehr wohlhabenden Kreisen stammte, kannte Jade nur die strenge Welt ihres Elternhauses in den Midlands. Okay, sie hatte nie am Hungertuch genagt. Das Beamtengehalt ihres Vaters reichte für die fünfköpfige Familie, die aus Mom und Dad sowie Jade und ihren beiden jüngeren Brüdern bestand. Doch das Geld war knapp gewesen, seit Jade denken konnte. Urlaub hatten sie nicht oft gemacht, und wenn, waren es Badeferien in Blackpool oder Brighton gewesen.
    Über die genaueren Lebensumstände von Ann Brockwell wusste Jade bisher nichts. Aber nun war sie neugierig geworden und nahm sich vor, im Internet zu recherchieren. Wenn Anns Familie auch nur einigermaßen reich und prominent war, würde sich dort genügend Hintergrundmaterial finden – am nächsten Tag, wenn sie wieder konzentrierter sein würde.
    Jade stand auf. Sie war einerseits todmüde, andererseits völlig überdreht. Eigentlich hätte sie sich jetzt dringend hinlegen müssen, um noch ein paar Stunden Schlaf zu finden. Dennoch – an Ruhe war nicht zu denken. Dafür schwirrten ihr viel zu viele Gedanken durch den Kopf.
    Sie schob die Videokamera wieder in ihre Reisetasche und zog sich einen Jogginganzug an. Ihr war in dem Minikleid inzwischen kalt geworden. Naja, immerhin bin ich in Norwegen, und es ist noch lange kein Sommer, dachte sie.
    Nachdem sie ruhelos in ihrer Kabine auf und ab gegangen war, beschloss sie, einen Spaziergang auf dem Promenadendeck zu machen. Bewegung tat ihr immer gut, und vielleicht wurde sie dadurch ruhiger.
    Jade öffnete ihre Kabinentür und hielt unwillkürlich den Atem an. Gleich darauf lächelte sie. Als müsste sie sich vor einem knutschenden Paar fürchten! Es waren mehrere hundert Passagiere an Bord, dazu die Besatzung. Wenn sie wirklich in eine bedrohliche Lage geriet, konnte sie jederzeit um Hilfe rufen. Aber momentan deutete nichts auf eine Gefahr hin.
    Nur diese Stille war schwer zu ertragen.
    Es war eine völlige Geräuschlosigkeit. Jade hatte als Animateurin in Ferienclubs gearbeitet, wo die
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