Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Rau ist die See ...

Rau ist die See ...

Titel: Rau ist die See ...
Autoren: S Hogan
Vom Netzwerk:
Auf Roxannes Gesicht erschien ein eingebildetes Lächeln. Sie tätschelte herablassend Jades Wange. „Schon gut, Kleine. Man würde mich normalerweise ja auch eher in Paris oder Mailand oder L.A. vermuten als auf einem Kreuzfahrtschiff an der norwegischen Küste. Es war pures Glück, dass ich zwischen zwei Foto-Shootings für internationale Modedesigner ein paar Tage Zeit für Urlaub freischaufeln konnte.“
    Jade konnte sich gerade noch davon abhalten, breit zu grinsen. Diese anstrengende Frau hielt sich also für die neue Naomi Campbell oder Claudia Schiffer. Okay, es gab in jeder Schulklasse mindestens ein oder zwei Mädchen, die von einer Modelkarriere träumten – und zwar nicht nur in Großbritannien, sondern überall auf der Welt. Möglicherweise war Roxanne wirklich schon einmal fotografiert worden. Aber wahrscheinlich nicht für die Titelseite der Vogue , sondern für eine Gratis-Reklamezeitung in Sheffield oder Birmingham, dachte Jade. Immerhin hatte sie nun schon ein Mitglied für die Jury.
    Wenig später nahmen ein unscheinbarer semmelblonder Typ und eine dralle kaugummikauende Brillenträgerin zusammen mit Roxanne am Jurytisch Platz.
    Der Wettbewerb wurde ein voller Erfolg. Jade ging es nicht darum, wer nun gewann. Ihr Job bestand darin, in der Disco Spannung aufzubauen und Begeisterung zu verbreiten. Und das gelang ihr. In der Jury machte sich Roxanne schnell zur Wortführerin, aber das überraschte Jade nicht.
    Die Stunden vergingen wie im Flug. Weit nach Mitternacht leerte sich die Disco allmählich. Jade merkte erst jetzt, wie erschöpft sie war. Trotzdem würde sie am nächsten Morgen ihren Power-Workout-Kursus abhalten. Als Animateurin hatte sie gelernt, zeitweise mit wenig Schlaf auszukommen.
    „Ist sie nicht spitzenmäßig?“
    Jade hatte gar nicht gemerkt, dass Henry neben ihr an die Theke getreten war. Jetzt hob sie den Blick und sah aus dem Augenwinkel, wie das selbsternannte blonde Topmodel an ihnen vorbeistolzierte und ihnen zum Abschied zuwinkte. „Meinst du Roxanne?“
    „Wen sonst? Ist sie nicht super? Das ist eine Frau ganz nach meinem Geschmack.“
    Jade blinzelte. Im ersten Moment glaubte sie, Henry wolle sie auf den Arm nehmen. Aber dann wurde ihr klar, dass es ihm bitterernst war. Sie kannte diese sehnsuchtsvollen Schmachtblicke, die Henry der großen Blonden hinterherwarf. Jade lag eine bissige Bemerkung auf der Zunge. Doch sie konnte sich gerade noch davon zurückhalten, Roxanne eine selbstverliebte Schreckschraube zu nennen.
    Henry war offenbar bis über beide Ohren in diese eitle Gewitterziege verknallt. Jade wollte ihn nicht schon wieder kränken. Bisher war er derjenige, mit dem sie sich an Bord der MS Kyrene am besten verstand. Und deshalb lächelte Jade, klimperte gespielt mit den Wimpern und wandte sich scheinbar entrüstet an Henry. „Ach, so ist das also? Und was ist mit mir? Willst du mir vielleicht untreu werden, Mister Henry Glover?“
    Er lächelte reumütig. „Ach, mit dir ist es ganz anders, Jade. Es ist, als würden wir uns schon ewig kennen. Ich kann gar nicht glauben, dass du erst heute auf das Schiff gekommen bist.“
    Jade lachte und kniff ihm in die Wange. „Das weiß ich doch, Süßer! Ich mag dich, aber wegen dir werde ich keine schlaflosen Nächte bekommen. Und dir geht es umgekehrt genauso, wette ich.“
    Henry nickte und lachte befreit auf. Für Jade war klar, dass er nie mehr als ein guter Freund für sie würde sein können. Aber sie schätzte es sehr, in dieser fremden Umgebung so schnell einen Vertrauten gefunden zu haben. Vielleicht würde sie Henry sogar von dem Videotagebuch erzählen, sobald sie selbst einen besseren Durchblick hatte. Jetzt musste sie erst einmal schlafen.
    Zum Abschied gab sie Henry einen freundschaftlichen Kuss auf die Wange und wünschte ihm eine gute Nacht.
    Auf dem Weg durch die zahlreichen Gänge freute sie sich, weil sie sich wieder nicht verlief. Doch als sie die Tür hinter sich schloss, wurde sie plötzlich von einem seltsamen Gefühl der Fremdheit und des Verlorenseins überwältigt.
    Das hier war eigentlich Ann Brockwells Kabine.
    Was war nur mit ihrer Vorgängerin geschehen?
    Jade setzte sich auf ihre Koje und zog die Reisetasche darunter hervor, in der sie die Videokamera versteckt hatte. Erleichtert stellte sie fest, dass das Gerät noch vorhanden war. Aber wieso auch nicht? Warum befürchtete sie mit einem Mal, dass jemand in ihrer Kabine gewesen war? Jade hätte diese Fragen selbst nicht beantworten
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher