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Radegunde von Thueringen

Radegunde von Thueringen

Titel: Radegunde von Thueringen
Autoren: Simone Knodel
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spontan. „Ich bin so glücklich!“
    Mein lieber Amalafrid,
wie zittert mir heute die Hand, die meine Feder führt, soll doch dieser Brief sehr bald in deinen Händen liegen, von deinen Augen liebkost werden. Geliebter Vetter, weckt unser herbes Geschick nicht auch Erinnern in dir, an die süße Jugend, an das, was ich dir einst war? Du hast mir den Vater ersetzt, die Heimat warst du für mich, wie ein Bruder und zugleich viel mehr. Jetzt fehlst du mir seit unendlicher Zeit. Doch hat jedweder sein eigenes Leid. Dich beschattet der Osten, mich aber der Westen, zwischen uns liegt nunmehr der Erdkreis, uns trennt, so weit sie sich dehnet, die Erde.
    Diese eine Bitte überbringt dir mein treuer Diener Giso, dass du beim Kaiser, deinem Herrn, ein gewinnendes Wort für mich einlegen willst. Der heilige Splitter vom Kreuz Christi sei mein langersehnter Gipfel des Glücks und gleichzeitig ein wehmütiges Gedenken an dich, denn wie dieses kleine Stück Holz das Kreuz für immer verlässt, wurde ich vor unendlicher Zeit von dir gerissen.
    So lege ich mit diesem Brief mein Vertrauen in deine Hände und grüße dich.
    Radegunde
    Es begannen Monate des quälenden Wartens. Die einzige Möglichkeit, ihrem Wunsch nach der Reliquie Nachdruck zu verleihen, sah sie im Beten und Fasten, sie kasteite sich ohne Rücksicht auf ihren bereits geschwächten Zustand.

    An einem hellen Frühlingsmorgen half Agnes Radegunde beim Aufhängen der Wäsche. Als die Ärmel der Kutte die mageren Arme ihrer Freundin freigaben, erkannte sie dunkle Brandwunden auf der Haut.
    „Was hast du getan?!“, schrie sie und riss den Stoff zurück. Mit ungläubigem Entsetzen starrte sie auf die großen nässenden Brandblasen. Sie zogen sich über den Ellenbogen hinauf bis zum Oberarm und hatten alle die gleiche Form, die eines Kreuzes mit vier gleich großen Armen.
    Radegunde versuchte, sich Agnes’ klammerndem Griff zu entziehen. „Lass mich!“
    „Nein, jetzt ist Schluss damit. Was sind das für Verbrennungen! Antworte mir!“ Sie hielt Radegunde eisern fest, bei dem kurzen Gerangel fiel das große Messingkreuz aus der Kutte, das sie immer um den Hals trug. Chlothar hatte es ihr zur Einweihung des Klosters geschenkt. Es hatte dieselbe Form und Größe wie die Brandwunden.
    „Das kann ich nicht glauben! Du versengst dir die Haut mit dem Kreuz des Herrn? Bist du denn noch bei Verstand? Was kommt als Nächstes?“ Agnes schäumte vor Wut und schüttelte sie.
    Einige Schwestern hatten den Tumult gehört und traten auf den Wäscheplatz. Radegunde sackte plötzlich in sich zusammen und sank auf den Boden.
    Mit großen Augen sah sie Agnes an. „Der Schmerz, liebe Schwester, er ist mein Freund! Er führt mich auf den süßen Pfad des Vergessens.“ Dann verlor sie das Bewusstsein.
    „Schnell, kommt her und helft!“, rief die Äbtissin. „Wir müssen sie hineintragen!“
    Die Schwestern erschraken, wie federleicht ihre Königin war. Niemandem war aufgefallen, welch abgemagerter Körper sich unter der Kutte verbarg.
    Im Krankenzimmer nahmen sie ihr das schwarze Kopftuch ab und zogen ihr das grobe Büßerhemd vom Leib, das sie seit Wochen trug. Baudonivia schrie entsetzt auf, als sie den von Wunden übersäten Körper sah, der nur noch aus Haut und Knochen bestand. Sie nahmen ihr den Eisengürtel ab, den Radegunde zusätzlich mit Gewichten beschwert hatte, und wuschen die eitrigen Schnittwunden, die sich wie ein Ring um ihre Hüften zogen. Auf dem Rücken fanden sich auf alten Narben frische Peitschenstriemen, die sie vorsichtig mit Kamillensud abtupften. Die Brandwunden bedeckten sie mit kühlenden Huflattichblättern und verbanden sie mit Leinentüchern.
    Leise vor sich hin weinend, blieb Baudonivia am Lager sitzen und kontrollierte aufmerksam Puls und Atmung der Patientin.
    Agnes schrieb mit zitternder Hand an die Äbtissin Fridovigia. Den Brief schickte sie mit dem schnellsten Boten, der in Poitiers aufzutreiben war, nach Saix. Während die Nonnen in Saint-Marie um das Leben ihrer Mutter Radegunde bangten, füllte Fridovigia einen Beutel mit Silbermünzen und suchte umgehend den Einsiedler in Chinon auf. Er hatte der Königin schon einmal geholfen. Johannes von Breton nahm den Lohn entgegen, betete eine Nacht lang in seiner Höhle und gab dann den gleichen Rat wie schon einmal: Gott werde mit Radegunde selbst in Verbindung treten.
    Am darauffolgenden Tag öffnete Radegunde gegen Mittag die Augen und richtete sich auf. Basina, die an ihrem Bett saß, nahm ihre
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