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Radegunde von Thueringen

Radegunde von Thueringen

Titel: Radegunde von Thueringen
Autoren: Simone Knodel
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1. Buch: Die Prinzessin
    Nackten Fußes die Gattin schritt im Blute des Gatten, über des Bruders Leib stieg da die Schwester hinweg. Aus der Mutter Umarmung gerissen am Auge nur hing ihr lautlos, ohne Erguss schmerzlicher Tränen der Sohn. Alles was jene geschmerzt, war mein persönliches Leid. Glücklich die Männer, die tödlich die Waffe des Feindes getroffen. Ich allein nur blieb, sie zu beweinen, zurück …
    (Venantius Fortunatus: Der Untergang des Thüringer Reiches)
Hof des Königs Bertachar im Harz, 529
    „Reiter in Sicht! Reiter!“ Der Ruf drang vom westlichen Wehrgang herüber. Die Knechte und Mägde auf dem Hof ließen ihre Arbeit liegen und reckten neugierig die Köpfe.
    „Hast du gehört?“ Radegunde sprang auf und drückte Besa den Kleinen in den Arm. „Halt ihn, ich muss nachsehen!“ Sie rannte los.
    „Warte!“ Die Dienerin blieb ihr dicht auf den Fersen. Erst als das Mädchen eine der Leitern erklomm, blieb Besa schwer atmend stehen. Ihre Beine waren zu kurz für die derben Sprossen.
    „Sag mir wenigstens, was du siehst!“
    „Ich sehe zwei Äpfelchen, die würden mir wohl schmecken!“ Ein hagerer Waffenknecht starrte anzüglich grinsend von der Palisade auf sie herab.
    „Gleich geb ich dir was zum Kosten!“, fauchte die Zwergin und bückte sich nach einem Korb mit Pferdeäpfeln. Das Kind auf ihrem Arm krähte vergnügt. Der Mann lachte laut und warf ihr eine Kusshand zu, bevor er sich umdrehte und die Hand an den Schwertgriff legte.
    „Vaters Farben!“ Radegunde winkte und hüpfte auf und ab, dass der schmale Wehrgang unter ihren Füßen zitterte. „Das sind die Unseren! Öffnet das Tor!“
    „Komm runter, Kind! Bevor was passiert.“ Besa schien den unverschämten Kerl vergessen zu haben. „Komm sofort runter! Wann das Tor geöffnet wird, bestimmt immer noch der Hauptmann!“
    Die Männer lachten, selbst Hauptmann Germar wandte sich mit einer angedeuteten Verbeugung um.
    „Vielleicht machen wir heute eine Ausnahme, Prinzessin. Aber erst, wenn wir sicher sein können, dass es nicht doch die Franken sind!“ Er richtete den Blick wieder auf die sich nähernde Reiterschar.
    „Radegunde!“ Besas Stimme kämpfte gegen das anschwellende Donnern der Pferdehufe.
    Sie drehte sich kurz um. Die Zwergin stand noch immer am Fuße der Leiter. Der kleine Bertafrid streckte jammernd die Ärmchen nach oben.
    „Ich komme gleich!“
    Worauf wartete Germar? Radegunde sah sich um. Alle waffenfähigen Männer hatten den Wehrgang dicht besetzt. Die Frauen verkrochen sich in den zahlreichen Hütten. In der Zisterne unter dem Wehrgang kräuselte sich das Wasser an der sonst spiegelglatten Oberfläche. Über den hölzernen Schutzwall drang der beißende Geruch schwitzender Pferde, den die Reiter vor sich her trieben.
    „Prinzessin, es ist besser, du gehst nach unten!“ Germars Ton verbot jede Widerrede, und sie stieg die Leiter hinunter.
    Besa zog sie zu sich herab. „Hörst du das?“, flüsterte sie.
    Die heranpreschenden Pferde wieherten. Sie rochen den vertrauten Stall. Das Horn ertönte mit dem vereinbarten Zeichen. Alles schien wie immer, aber Besa zitterte neben ihr.
    „Es ist so – still“, sagte sie. Ihre Stimme klang heiser.
    Still? Und da wusste Radegunde, was falsch war. „Sie jubeln nicht!“, sagte sie, und Besa nickte.

    Endlich brüllte Germar: „Öffnet das Haupttor!“
    Vier Knechte schoben in Windeseile die schweren Balken aus ihren Halterungen. Gerade noch rechtzeitig schwangen die massigen Flügel zur Seite. Schaumbedeckte Pferde, Männer mit müden Gesichtern, unkenntlich unter einer Kruste aus Blut und Dreck, füllten den Hof. Dann Stille. Mit einem letzten Geräusch schloss sich das große Tor.
    Die Krieger öffneten eine Gasse vor Radegunde. Mechanisch trat sie zwischen die hohen Leiber. Hinter ihr wimmerte Besa. Doch die Männer traten zusammen und die Zwergin musste zurückbleiben. Sie ging vorbei an stampfenden Pferden, durch einen Hohlweg aus zerkratzten Buckelschilden, vorbei an zerfetzten Schwertscheiden, aus denen schartige Klingen lugten. Leere Köcher baumelten über notdürftig verbundenen Wunden.
    Radegunde sah nicht auf. Sie wusste, dass die Gesichter nach einer Schlacht alle gleich aussahen, stumpf und grau wie die Rinde der Buchenstämme im Winter.
    Sie erkannte das Tuch, auf dem er lag. Die Farben ihres Vaters! Sie kniete neben ihm nieder.
    „Vater?“
    Sie musste ihm das Blut vom Gesicht waschen, seine Wunden kühlen! Er würde sich gleich aufrichten,
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