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Radegunde von Thueringen

Radegunde von Thueringen

Titel: Radegunde von Thueringen
Autoren: Simone Knodel
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zu dem blinden Auge, über das er sich eine kleine Scheibe aus Birkenrinde gebunden hatte. Als er sie kommen sah, zog er ein Tuch über seine Arbeit, als wolle er es vor ihr verbergen. Doch sie war so in ihre Gedanken vertieft, dass sie nicht darauf achtete.
    „Giso, was glaubst du, welchen Einfluss hat Amalafrid auf den Kaiser Justinian?“
    Er blickte verwirrt auf. „Wie kommst du jetzt darauf? Müsstest du nicht in der Spinnstunde …?“
    Ein scharfer Blick von ihr ließ ihn innehalten und nachdenken. „Ich glaube, er dürfte als Heerführer recht vertraut mit seinem Kaiser sein. Immerhin hat er die Befehlsgewalt über alle seine Soldaten.“ Er hob die Schultern. „Aber woher soll ich das wissen?“
    Sie wandte sich ab.
    „Was führst du im Schilde?“, rief er ihr nach.
    „Justinian soll mir einen Splitter vom Kreuz des Herrn schicken. Amalafrid könnte mir dabei nützlich sein.“
    „Einen Splitter? Du meinst so ein schnödes kleines Stück Holz, wie ich hier zuhauf von diesem Klotz herunterschnitze?“
    „Giso, sieh dich vor! Wenn jemand erfährt, dass ich in meinem Kloster einen seelenlosen Heiden beherberge, der nicht an die heilige Kraft der Reliquien glaubt, dann kann Bischof Maroveus endlich die Schlinge für mich knüpfen.“ Sie sah besorgt aus.
    Giso seufzte. Er wusste, dass er nicht für immer hierbleiben konnte. Er brauchte dringend eine Aufgabe. Er ließ das Messer sinken. „Lass mich dieses Stückchen Holz für dich holen!“
    „Du? Als Ungetaufter? Dieser Splitter ist heilig!“
    „Denk nach, Radegunde. Ich bin ein sehr erfahrener Reisender. Ich käme ohne Zweifel heil nach Konstantinopel und zurück. Wen kennst du noch, auf den das zutrifft? Außerdem bin ich Thüringer, was mich deinem Amalafrid bestimmt sympathisch macht. Drittens: Ich bin hartnäckig.“
    Sie wollte ihn unterbrechen, doch er hob die Hand. „Hör mir zu: Ich fühle mich schuldig an Salomés Tod. Ich weiß, dass euer Gott Sühnetaten verlangt. Meinst du, diese Reise würde für ihn zählen?“
    Sie zögerte. Seine Argumente waren nicht von der Hand zu weisen. Und hier konnte er sowieso nicht bleiben. „Also gut. Ich werde König Sigibert schreiben und dich empfehlen. Er wird mir Soldaten stellen und er muss meine Bitte an den Kaiser durch ein Begleitschreiben unterstützen. Mit diesem Brief in der Tasche müsstest du Erfolg haben.“
    Giso stand auf und nahm ihre Hand. Sein entstelltes Gesicht war ernst und beinahe feierlich. „Ich verspreche dir, ich werde nicht ohne diesen Splitter zurückkehren.“
    Sie lächelte dankbar. „Einverstanden. Dann lass deine Arbeit stehen, es gibt jede Menge zu tun.“
    König Sigibert gab ohne Zögern sein Einverständnis und stellte eine Mannschaft von zwei Dutzend Soldaten, die Giso begleiten würden. Außerdem hatte er ein Empfehlungsschreiben an das byzantinische Kaiserpaar diktiert und wertvolle Geschenke gestiftet.
    An Radegunde schrieb er: „… so wünsche ich deinem Unternehmen, liebe Mutter, gute Erfolge und bete auch hierfür. Möge der Segen des Herrn über dieser Reise liegen … Im Übrigen sei dir mitgeteilt, dass Bischof Maroveus von Poitiers üble Rede und Beschwerde gegen dich geführt hat. Er wettert gegen den freien Geist, der in euren Mauern herrscht, und gegen die Männer, die sich in ihnen aufhalten. Ich versuche, ihn zu zügeln, doch hüte dich vor ihm und seinen Intrigen …“
    Die nächsten Tage und Wochen steckten voller zusätzlicher Arbeit, die Radegunde jedoch mit Frohsinn auf sich nahm. Ihre Vorfreude auf die wertvolle Reliquie wurde nur durch den Gedanken getrübt, es könne irgendetwas schiefgehen. Was, wenn Justinian gar nicht daran dachte, einen Teil seines Kreuzes wegzugeben? Was, wenn die Reisegruppe überfallen und ausgeraubt oder gar getötet werden würde?
    Venantius erhielt den Auftrag, eine Hymne zu schreiben für den feierlichen Empfang des Heiligtums, der mit einem großen Fest verbunden sein sollte. „Es muss etwas ganz Besonderes sein, hörst du, etwas, wovon einem das Herz übergeht.“
    Venantius nickte und seine Augen bekamen einen grüblerischen Glanz.
    „Wir werden dem Kloster einen neuen Namen geben müssen!“, sagte Agnes eines Abends zu ihr. „Es sollte wohl nach dem Kreuzessplitter benannt werden!“
    Radegunde nickte versonnen. „Sainte-Croix – Heiliges Kreuz, das klingt gut! Und wir werden einen größeren Altar bauen lassen. Der Altar mit den Mammas-Reliquien kann als Seitenaltar dienen.“ Sie umarmte Agnes
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