Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Radegunde von Thueringen

Radegunde von Thueringen

Titel: Radegunde von Thueringen
Autoren: Simone Knodel
Vom Netzwerk:
ihr übers Haar streichen und seine Befehle über den Hof brüllen.
    Doch kein Laut drang über den Burghof.
    „Vater!“
    Sein Gesicht hatte die Farbe von Dinkelmehl, seine Augen waren geschlossen, als schliefe er. Der vergoldete Helm war an der linken Seite stark eingedrückt. Sie nahm seine Hand. Groß, so groß wie der größte Teller, den der Mundschenk aufdecken konnte, und scheinbar grob. Aber sie wusste es besser, wusste, dass diese Hand auch zärtlich sein konnte, wenn sie Bertafrid auf dem Knie hielt, wenn die Finger ihr über das Haar strichen zum Abschied.
    Sie zog den Handschuh herunter, umschloss die Finger mit beiden Händen und spürte die Kälte, knetete sie, doch sie blieben steif und kalt.
    Es dunkelte, als die Frauen begannen, den Leichnam zu waschen. Radegunde goss aus einem irdenen Krug, der wie eine Krähe geformt war, Öl über den Leib ihres Vaters. Lavendelgeruch breitete sich aus. Um sie herum wehklagten die Frauen, doch über ihre Lippen kam kein Laut.
    „Meine kleine Kriegerin“, so hatte der Vater sie genannt. Und Kriegerinnen waren stark.
    Über den Hof klang das Hämmern der Zimmerleute. Sie bauten die Totenhütte für den Vater. Der König wurde nach alter Sitte begraben.
    Er folgte der Mutter, die sie vor zwei Jahren auf die Reise in die andere Welt geschickt hatten. Auf einem prächtigen zweirädrigen Wagen hatte sie gesessen, eingehüllt in wertvolle Brokatstoffe. Umgeben war sie von Wegzehrung in irdenen Gefäßen, einem kunstvollen Trinkhorn und kostbarem Schmuck. In einem metallgeschmückten hölzernen Eimer befand sich Wein gegen den Durst. Radegunde selbst hatte eine silberne Schale mit ihren geliebten Haselnüssen neben dem Wagen abgestellt. Damals hatte sie geweint, als die Männer begannen, das Grab mit Steinen zu verschließen.
    Aus dem Schnabel des tönernen Totenvogels tropfte das letzte Öl. Radegunde lief zur Vorratshütte. Auf dem Hof herrschte noch geschäftiges Treiben, obwohl die Dämmerung bereits wie ein schweres Tuch über den Hütten lag.
    Neben dem Pferdestall standen die zwei besten Pferde ihres Vaters. Mehrere Knechte waren dabei, die edlen Tiere zu striegeln und die Mähnen zu flechten.
    „Armer Irvin“, dachte das Mädchen im Vorübergehen.
    Der große Schimmel tänzelte nervös und wieherte leise. Die silbern glänzende Stute neben ihm ertrug geduldig die vielen zupfenden und bürstenden Hände. Kein stämmiges Fohlen von Wisa würde je wieder über die Wiese springen. Alle Lieblingstiere des Vaters würden ihn auf seinem Weg begleiten.
    In der Vorratshütte war es finster wie in Wodans Schlund. Radegunde schalt sich eine dumme Gans, denn sie hatte weder an eine Lampe noch an Feuerstein gedacht. Noch während sie sich vorsichtig weitertastete, betrat eine Sklavin mit einer Fackel die Hütte. Sie half ihr, die Abdeckung über dem Erdloch hochzustemmen und kletterte die aus einem Baumstamm gehauene Treppe hinab. Mit einer hölzernen Kelle füllte die Frau das Öl aus einem hüfthohen Krug in die Krähe um. Mit umsichtigem Blick stellte Radegunde fest, dass es der letzte gefüllte Ölkrug war. Jemand musste sich um Nachschub kümmern. Ein Gedanke ließ sie innehalten. Was wurde aus einem Hof, wenn der Herr tot war? Sie musste Germar fragen. Sofort.
    Sie schickte die Dienerin mit dem Öl zurück und lief in Richtung Haupthaus, aus dessen Fenstern flackernder Lichtschein auf den Hof fiel.
    Aus der Mannschaftshütte klang das Scheppern der Trinkhörner. Laute Stimmen weckten ihre Neugier. Sie blieb in der Nähe der aus Weidenruten geflochtenen Tür stehen.
    „Addin, schenk noch mal nach. Das Bier ist so dünn, dass ich heute doppelt so viel vertrage!“
    „Trink nur, heute ist ein schwarzer Tag, wir sollten unseren Kummer ersäufen.“
    „Recht hast du, Addin, unser König ist gefallen, wir sind wohl alle dem Untergang geweiht.“
    Eine dritte Stimme mischte sich ein: „Gefallen? Ich sage, er wurde ermordet! Habt ihr nicht gesehen, wer zuletzt mit ihm gekämpft hat?“
    „Sei vorsichtig mit dem, was du sagst!“ Addins Worte klangen plötzlich gedämpft.
    Radegunde drückte sich an die Lehmwand neben der Tür.
    „Was ich gesehen habe, habe ich gesehen!“, zischte der Angesprochene. „Sie haben Seite an Seite gekämpft, Herminafrid und Bertachar. Als die Franken langsam kalte Füße bekamen und ihren Rückzug organisierten, fiel Bertachar plötzlich, und Herminafrid machte sich davon!“
    „Das kann im Schlachtgetümmel so ausgesehen haben, aber
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher