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Radegunde von Thueringen

Radegunde von Thueringen

Titel: Radegunde von Thueringen
Autoren: Simone Knodel
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hinterhältig.
    Germar hob besänftigend die Hand. „Niemand wird euch vorher wegschicken. Wir müssen ohnehin abwarten, was König Herminafrid entscheidet.“
    Der Rhythmus der Trommeln steigerte sich zu einem Tempo, das die Tänzer in ekstatische Bewegungen versetzte. Seit den frühen Morgenstunden schlugen die Trommler mit Stöcken und mit den bloßen Händen auf ihre mit Häuten und Fellen bespannten Instrumente ein. Radegunde war froh, dass sie erst jetzt zur Begräbnisfeier erscheinen musste. Die Priester waren schon lange vor Sonnenaufgang zum kleinen Opfermoor gezogen. Unter den ersten Strahlen der aufgehenden Sonne hatte der Oberste Priester mit einem gewaltigen Schwerthieb die beiden Pferde des toten Königs enthauptet. Auch wenn Laban und die Pferde ihren Vater begleiten würden, mochte sie doch nicht sehen, wie sie gefesselt am Boden lagen und getötet wurden. Doch nun stand die Sonne hoch am Himmel, Mücken und Pferdebremsen hielten sich schadlos an den vielen Gästen.
    Die Begräbnisstätte lag nur eine Stunde vom Königshof entfernt. Alwalach hatte eingesehen, dass der lange Weg zum großen Opfermoor, dem zentralen Heiligtum der Thüringer, zu gefährlich war.
    Am Rande des Moores stellten die Handwerker die Totenhütte in einer flachen Grube auf. Knechte fuhren Steine aus den umliegenden Wäldern heran. Auf einer Bahre lag der Leichnam des Vaters, die Umrisse seines kräftigen Körpers zeichneten sich unter den kostbaren Tüchern ab. Die Grabbeigaben stapelten sich auf einem großen Karren, der von zwei Kriegern bewacht wurde.
    Radegunde hatte in der Nacht lange überlegt, was sie ihrem Vater mitgeben konnte, damit er sich in der anderen Welt an sie erinnere. Mit leisem Bedauern hatte sie sich von ihrem Messer mit dem Griff aus Hirschhorn getrennt. Zwar war es nur ein Frauenmesser, aber klein und handlich konnte es in einer Falte des Gewandes verborgen werden. Nun verschwand es beinahe zwischen Vaters zweischneidigem Schwert, das mindestens so schwer war wie Bertafrid, und dem großen Bogen mit Köcher und Pfeilen. Vaters Waffenknecht hatte Ersatzspitzen aus Eisen hinzugelegt, ebenso das einschneidige Kurzschwert und die Streitaxt sowie einen neuen hölzernen Schild mit nietenverziertem Eisenbuckel. Tongefäße mit Brot, Bohnen und Nüssen als Wegzehrung, ein Trinkgefäß und ein Krug Wein würden für sein Wohl auf dem Weg in die Welt der Toten sorgen.
    Bertafrid quengelte laut. Sie versuchte, mit einem Lavendelzweig die lästigen Mücken von seiner nackten Haut fernzuhalten. Besa schlug einen Purzelbaum, zog Grimassen und grunzte wie ein Schwein, was den Kleinen für kurze Zeit zum Lachen brachte.
    „Worauf warten die noch?“, stöhnte die Zwergin und wischte sich den Schweiß von der Stirn.
    „Auf den König!“, antwortete Radegunde lapidar.
    „Aber der liegt doch da vorn!“ Besa war manchmal etwas begriffsstutzig.
    „Sein Bruder Herminafrid ist jetzt unser König!“, murmelte sie vorwurfsvoll, während sie versuchte, dem Jungen kleine Stücke eines halbreifen Apfels in den Mund zu schieben.
    „Oh!“, machte Besa und begann, auf den Händen zu laufen.
    Bertafrid lachte und spuckte dabei den Apfel wieder aus.
    In diesem Moment kam Unruhe unter den Leuten auf, die am Rande des Opfermoors auf einem kleinen Hügel standen. „König Herminafrid kommt!“ Der Ruf setzte sich fort bis hinab ins Zentrum der Begräbnisstätte, wo die Trommeln noch immer ihr heiseres Stakkato in die Sommerhitze wirbelten.
    Es war nur ein kleiner Zug, der über den Hügelkamm kroch. Allen voran schritt Herminafrid, ein Hüne mit forsch blickenden Augen, dem blonde Locken unter dem Helm hervorquollen. Die Leute verbeugten sich stumm.
    Dicht an seiner Seite hielt sich ein Jüngling, der sicher bald die kräftige und breitschultrige Statur Herminafrids haben würde. Doch während Herminafrid ihrem Vater täuschend ähnlich sah, hatte der Junge ein dunkles Gesicht mit leicht schräg stehenden Augen, die unter langen Wimpern hervorblitzten. Seine schulterlangen Haare glänzten wie reife Kastanien.
    In ihrem Magen grummelte es wie Maikäfer in einem Tonkrug, als sie vor ihrem Oheim niederkniete.
    Sie fühlte eine große Hand auf ihrem Scheitel. „Steh auf, Radegunde, und setz dich zu uns!“ Auch seine Stimme erinnerte schmerzlich an den Vater.
    Herminafrid wies auf den Jüngling. „Erinnerst du dich an Amalafrid, meinen Sohn?“
    Das tat sie nicht, aber sie nickte höflich und hob den Blick. Seine Augen waren so
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