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Radegunde von Thueringen

Radegunde von Thueringen

Titel: Radegunde von Thueringen
Autoren: Simone Knodel
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erzählt.“
    „Haben alle eure Frauen diese merkwürdigen Frisuren?“, wagte sie endlich zu fragen.
    Jetzt lachte Kiara laut und löste ihr dunkles Haar mit ein paar Handgriffen. „Sieh her!“
    Ihre Augen wurden groß. Kiaras Haare fielen lang und glatt auf ihre Schultern, aber die seltsam hohe Form ihres Kopfes war noch immer da.
    „Alle Mütter, die etwas auf ihre Töchter halten, wickeln in meiner Heimat den Schädel der Säuglinge fest in Tücher. Dadurch bekommt er diese lange und hohe Form. Bei uns gelten runde Köpfe bei Frauen als unedel und bäuerisch.“ Stolz und Wehmut hatte in ihren Worten gelegen.
    „Hast du manchmal Heimweh?“
    „Ja.“ Kiara zögerte. „Nachts ist es am schlimmsten.“
    Radegunde nickte und schwieg.
    Die Königin stand am Lesepult. Ihre unergründlichen schwarzen Augen blickten ihr streng entgegen.
    Rodelinde saß neben ihr und malte mit einer Feder Buchstaben auf ein Stück Pergament. Dabei steckte sie ihre Zunge zwischen die Zähne und zog die Stirn kraus. Sie war trotz ihrer neun Jahre viel kleiner als Radegunde. Lauter kleine Sommersprossen zierten Sommer wie Winter die Nase zwischen den blauen Augen. Jetzt sah sie nur kurz auf und warf ihr einen mitleidigen Blick zu.
    Die Unterrichtsstunde! Sie hatte sie draußen im Schnee vollkommen vergessen. Ihr Herz machte ein paar klägliche Hüpfer.
    „Es tut mir leid …“, krächzte sie.
    „Du redest erst, wenn du gefragt wirst. Das solltest du inzwischen gelernt haben.“ Amalabergas Stimme hatte einen eisigen Klang. „Wir hatten klare Vereinbarungen getroffen, wann der Unterricht täglich beginnt. Ich erwarte auch von dir Pünktlichkeit.“
    Radegunde nickte, um den Schwall der Vorwürfe abzukürzen.
    „Du wirst eine Woche lang nicht mit deinem Bruder spielen. Schließlich hat er dich von deinen Pflichten abgehalten.“
    Radegunde senkte den Kopf, um sich ihre Erleichterung nicht anmerken zu lassen. Wenn Kiara sich um Bertafrid kümmerte, würde ihn die Abwesenheit seiner Schwester nicht sehr betrüben. Eilig ging sie an ihren Platz.
    „Es wird Zeit“, begann Amalaberga mit sanfterer Stimme, „dass du etwas über Christus erfährst.“
    Radegunde wusste bereits, dass Amalaberga aus dem Gotenland ihre eigenen Götter mitgebracht hatte und dass bereits viele Leute hier am Hof diese Götter anbeteten. Sie hatten sogar eine eigene Hütte, in der sie sich trafen. Sie wusste aber auch, dass einige der Leute nur in diese Hütte liefen, um der Königin zu gefallen. Das hielt sie nicht davon ab, heimlich weiterhin Wodan und Freya anzurufen.
    „Rodelinde, erkläre Radegunde, was das Besondere an Christus ist!“ Amalaberga nickte ihrer Tochter auffordernd zu.
    „Christus ist mit göttlichen Kräften ausgerüstet.“ Rodelinde kaute auf dem Ende ihres blonden Zopfes.
    „Nun? Was noch?“
    „Er ist das perfekte Abbild seines Vaters. Er ist die erste Kreatur Gottes. Er ist geschaffen aus dem Nichts, durch den Willen des Vaters, vor aller vorstellbaren Zeit.“
    Amalaberga lächelte zufrieden. „Das Wichtigste, was du dir merken musst: Christus ist Gottes Sohn und es gibt nur einen einzigen Gott. Der ist allmächtig und überall.“ Ihr Tonfall war auf einmal wieder sehr ernst. „Hast du das verstanden?“
    Sie wagte nicht zu fragen, warum der Gott dann eine Hütte benötigte, wenn er doch überall war. „Ja … aber, wie heißt er, dieser Gott? Ist es Wodan?“
    Die Tante schüttelte ungeduldig den Kopf. „Nein. Du musst die alten Götter alle vergessen. Hörst du? Vergiss sie! Weil es nur einen einzigen Gott gibt, benötigt er keine Namen. Er ist einfach Gott.“
    Sie nickte. Doch wie konnte sie Wodan vergessen? Was würde Alwalach dazu sagen, wenn er davon erfuhr? Weder ihn noch Germar hatte sie seit dem Begräbnis ihres Vaters gesehen. Sie waren alle an Bertachars Hof zurückgeblieben. Allein Besa durfte die beiden Kinder an den neuen Hof begleiten. Und der widerliche Gorrik war hiergeblieben, denn er war der Schatzmeister.
    „Radegunde? Hörst du mir zu?“ Von fern drang Amalabergas Stimme in ihr Bewusstsein. Erschrocken sah das Mädchen auf.
    „Wir wollen die lateinischen Worte von gestern wiederholen!“ Ihre Stimme klang scharf, offenbar hatte sie schon einmal darum gebeten. Zum Glück fielen Radegunde die Vokabeln sehr leicht und im Nu hatte sie Amalaberga wieder versöhnt.
    „Deine Nichte ist ein kluges Mädchen“, sagte Amalaberga am Abend zu Herminafrid. „Sie wird einmal eine weise und umsichtige Königin
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