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Radau im Reihenhaus

Radau im Reihenhaus

Titel: Radau im Reihenhaus
Autoren: Evelyn Sanders
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Bangkok!«

Zweites Kapitel
    Der Umzugstag beginnt damit, daß der Möbelwagen nicht kommt. Dafür kommt die Krankenschwester vom Parterre und fragt, ob ich ihr eine Zwiebel leihen könnte. Kann ich nicht. Das einzig Eßbare in Reichweite ist Pulverkaffee und ein Rest angebrannter Grießbrei samt Topf. Beides soll in die Mülltonne. Die Mülltonne ist unser Eigentum und gehört zum Umzugsgut. Ich will aber keinen angebrannten Grießbrei mitnehmen!
    Rolf hängt am Telefon. In der Speditionsfirma meldet sich niemand. Wieso auch? Normalbürger sitzen frühestens um acht am Schreibtisch. Jetzt ist es sieben. Übrigens regnet es. Die Gehwege in der Millionärssiedlung sind inzwischen asphaltiert, die Zufahrtsstraße ist es noch nicht. Ob man wohl einen vollbeladenen Möbelwagen mit einem ganz gewöhnlichen Trecker aus dem Schlamm ziehen kann? Bauer Köbes meint ja.
    Es klingelt Sturm. Die Möbelmänner! Nein, bloß Felix. Seiner Vorliebe für ausgeleierte Manchesterhosen hat er jetzt die Krone aufgesetzt. Er trägt Hosenträger. Grüne, mit Edelweiß drauf.
    Halb acht. Frau Schmidt kommt. Aus lauter Freude über unseren Auszug hat sie sich freiwillig bereit erklärt, auf Sven und Sascha aufzupassen. Daß unsere Nachmieter drei Kinder haben, werde ich ihr erst nachher erzählen. Meinen alten Besen lasse ich ihr da, ich habe mir einen neuen gekauft.
    Felix schwärmt von Thailand. Es gelingt ihm sogar, die Schönen des Landes zu beschreiben, ohne die Hände zu benutzen.
    Acht Uhr. Der Möbelwagen fährt vor. Niemand steigt aus. Rolf geht runter. Die Insassen machen Frühstückspause. Sie kommen gerade aus Dortmund und sind seit halb sechs unterwegs. Ob ich wohl die Suppe ein bißchen wärmen könnte? Ich hole mir von Frau Schmidt einen Kochtopf. Sven steht auf ihrem Balkon und spuckt Weintrauben in die Gegend. Sascha plärrt: »Will nach Hause!« Geht nicht. Zur Zeit haben wir keins.
    Rolf sucht seine Brille. Ohne ist er blind wie ein Maulwurf. Wie kann jemand, der nichts sieht, etwas suchen? Ich finde sie neben dem Grießbreitopf.
    Felix hat das Kommando übernommen. Mit Bierflasche in der Hand dirigiert er die Möbelmänner. Die scheinen begriffsstutzig oder schwerhörig zu sein. Niemand kümmert sich um ihn. Felix hockt sich beleidigt aufs Fensterbrett und faltet Papierflieger. Einer landet in der Trauerweide, ein zweiter bei Lemkes im Küchenfenster. Frau Lemke schreit. Felix schreit zurück. Er bedauert, daß wir aus dieser schönen Gegend wegziehen.
    Im Wiesengrund hatte sich das Empfangskomitee versammelt. Die Familie Obermüller war vollzählig angetreten, Frau Wittinger von Nr. 3 hing aus dem Fenster, schüttelte ein Staubtuch aus und begann die ohnehin blitzblanke Scheibe mit einer bemerkenswerten Intensität zu bearbeiten. Auch in Haus Nr. 10 putzte jemand Fenster.
    Herr Obermüller strahlte. »Vor zwee Stunden hat der Maler die letzte Tapetenrolle anjeklebt, und wenn ick nich danebenjestanden hätte, würde er jetzt immer noch kleistern. Aber bis uffn paar Kleinigkeiten is wirklich allet fertigjeworden, und den Rest kriejen wir ooch noch zusammen.«
    Der Sinn dieser Prophezeiung wurde mir erst am Abend klar, als die drei Männer auf Beutejagd gingen.
    Frau Obermüller schnappte sich Sascha, bevor er geradewegs in eine große Schlammpfütze marschieren konnte. »Du kommst jetzt mit zu mir, ich habe einen ganz großen Schokoladenpudding gekocht.«
    Mißtrauisch plierte Sascha rauf: »Mit Nilljesoße?«
    »Natürlich mit Vanillesoße! Und mit Mandeln! Magst du Mandeln?«
    »Weiß nich. Sven soll aber mitkommen!«
    Sven wollte nicht. »Ich will mir erst das Haus angucken!«
    »Das kannst du auch bei uns, da sieht es genauso aus. Nur seitenverkehrt.«
    »Ich will nich die verkehrte Seite sehen, ich will ins richtige Haus!« Er rannte Rolf hinterher, der gerade von Herrn Obermüller die Haustürschlüssel in Empfang nahm. »Warum steht da Nummer elf drauf?«
    »Det Schloß is noch nich ausjewechselt, und die unbewohnten Häuser kann man alle mit demselben Schlüssel uffmachen. Eijentlich sollte der Schlosser ja schon jestern kommen!«
    Erwartungsvoll betrat ich unser neues Heim. Es roch nach Farbe, nach Leim, nach Salmiak und nach öffentlicher Bedürfnisanstalt. Kein Wunder, die Toilettentür fehlte immer noch.
    Obermüller bemerkte meinen entgeisterten Blick. »Wir müssen warten, bis et dunkel is!«
    »Wieso?«
    »Denn jehn wir abmontieren!«
    Dank Felix’ Mithilfe landeten die Kinderzimmermöbel im Schlafzimmer
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