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Racheengel

Racheengel

Titel: Racheengel
Autoren: Stuart Neville
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jedem Schlag vibrierte die Tür. Dahinter fluchte der zweite Litauer.
    »Verdammt noch mal«, rief der Ire.
    Galya blinzelte, als die Tür im Rahmen erzitterte und ihr Wumm! im Schlafzimmer widerhallte. Sie verkroch sich in der hintersten Ecke und hielt das gläserne Messer ausgestreckt. Noch ein Wumm! , das die Glühbirne über ihrem Kopf schwanken ließ.Galya drückte sich noch tiefer in den Winkel. Die Scherbe vor ihren Augen zitterte.
    Sie betete zu ihrer Großmutter, der Frau, die sie und ihren Bruder stets beschützt hatte, seit sie beide Waisen geworden waren. Solange Galya sich erinnern konnte, war die alte Frau immer ihre Mama gewesen. Jetzt lag Mama Hunderte Kilometer weit weg unter der Erde und konnte ihnen keinen Schutz mehr bieten. Obwohl sie an solche Sachen eigentlich nicht glaubte, rief Galya jetzt Mamas dahingeschiedene Seele an. Sie flehte, Mama möge auf ihre Enkelin herabschauen und sich erbarmen. O bitte, Mama, bitte komm und hol mich hier weg, o bi…
    Die Tür flog auf, schlug gegen die Wand und prallte wieder zurück. Der Litauer bremste sie beim Eintreten mit der Schulter ab. Der Ire folgte. Als sie den Toten sahen, blieben sie wie angewurzelt stehen.
    Der Litauer bekreuzigte sich.
    Der Ire sagte: »Ach du Scheiße.«
    Galya drückte sich noch weiter in die Ecke und machte sich so klein wie möglich, als würde niemand sie sehen, solange sie dort hockte.
    Der Litauer fluchte kopfschüttelnd, seine Augen wurden feucht. Mit seiner großen Pranke wischte er sich über den Mund.
    »Mein Gott, Darius, ist er tot?«, fragte der Ire.
    »Sieht aus ja«, sagte Darius.
    »Was machen wir jetzt?«
    Darius schüttelte den Kopf. »Weiß nicht.«
    »Scheiße«, sagte Sam. Das musste Sam sein, Galya war sich sicher.
    »Wir alle tot«, sagte Darius.
    »Was?«
    »Arturas«, sagte der Litauer. »Er töten uns beide. Deinen Bruder auch.«
    Sam begehrte auf. »Aber wir haben doch gar nichts …«
    »Egal. Wir alle tot.« Er deutete mit seinem wulstigen Finger in die Ecke. »Wegen ihr.«
    Sam drehte sich um und sah Galya an. Sie hob ihre gläserne Klinge und durchschnitt damit vor sich die Luft.
    »Warum du das tun?«, fragte Darius, das Gesicht eingesunken vor lauter Verzweiflung.
    Sie fauchte, und die Scherbe sauste vor seinen Augen vorbei.
    »Spar dir die Worte«, sagte Sam. »Die spricht kein Englisch.«
    Galya verstand jedes Wort. Angesichts der Verstellung musste sie beinahe ein Kichern unterdrücken. Sie spürte ihren Geist flattern wie eine Fahne im Wind, die sich jeden Moment losreißen konnte. Einen Moment lang war sie versucht, einfach loszulassen und sich vom Wahnsinn davontragen zu lassen, aber so leicht aufzugeben, dazu hatte Mama sie nicht erzogen. Galya fletschte die Zähne und drohte erneut mit der Scherbe.
    »Was sollen wir jetzt machen?«, fragte Sam.
    »Ihm loswerden«, erklärte der Litauer.
    Sam riss die Augen auf. »Wie, ihn einfach irgendwo abladen?«
    »Wir sagen Arturas, dein Bruder kommen her, nehmen sie mit und kommen nicht zurück. Wenn Arturas fragen, wohin, wir sagen, wissen nichts.«
    »Glaubt der uns das denn?«
    Der Litauer zuckte die Achseln. »Wir sagen Wahrheit, wir tot. Arturas nicht glauben, wir auch tot. Wo ist Unterschied?«
    Sam nickte in Richtung Zimmerecke. »Und was ist mit der da?«
    »Was du denken?«, fragte der Litauer.
    Sam blinzelte verwirrt und starrte Darius an. »Los.«
    Der Litauer trat beiseite. »Nimm ihr weg Stiklas .«
    »Was soll ich ihr wegnehmen?«, fragte Sam.
    » Stiklas, Stiklas. « Der Litauer suchte nach dem richtigen Wort. »Glas. Nimm ihr weg.«
    Sam näherte sich mit erhobenen Händen. »Nur ruhig Blut, Schätzchen.«
    Galya stach auf ihn ein und erwischte ihn fast am Unterarm.
    »Scheiße!« Sam fuhr zurück.
    Darius stieß ihn wieder vor. »Nimm ihr weg.«
    »Ach, leck mich. Nimm es ihr doch selbst weg.«
    Fluchend rempelte der Litauer den anderen zur Seite. Galya fuchtelte mit der Scherbe vor ihm hin und her, doch er packte mit einer schnellen Bewegung ihr Handgelenk, verdrehte es unsanft, und die Scherbe fiel zu Boden. Wie eine Schlange legte sich sein dicker Arm um ihren Hals, und bei ihrem letzten Atemzug roch sie Leder und billiges Aftershave. Dann versank alles in der Finsternis.
    Sie träumte von Mamas rauen Händen, von warmem Brot und einer Zeit, als sie von Belfast nur gewusst hatte, dass es eine jämmerliche Stadt war, die manchmal im Radio erwähnt wurde.

2
    Schreie weckten Detective Chief Inspector Jack Lennon auf. Er fuhr auf
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