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Racheengel

Racheengel

Titel: Racheengel
Autoren: Stuart Neville
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kalte Luft strömte herein.
    Zwischen Darius und Sam bildete sich eine Nebelwolke, als ihr Atem sich vermischte. Der Litauer packte die Leiche seines Landsmanns, zerrte sie ächzend aus dem Wagen und ließ sie mit einem nassen Klatschen auf die Erde fallen.
    Galya wehrte sich nicht, als Sam sie packte. Als er sie auf die Füße stellte, schien die eiskalte Erde ihr in die Sohlen zu beißen. Die Heftigkeit der Schauer, die sie durchfuhren, schüttelte sie, und er umklammerte ihre Arme noch fester.
    Der Wagen, ein alter BMW, stand nur ein paar Schritte von einer Wasserfläche entfernt, abgestellt auf einem Streifen Brachland, der von der leeren Straße durch einen niedrigen Bordstein abgetrennt wurde. Ringsum standen regungslos und still Lagerhäuser und Kräne in der kalten Nacht. Träge Wellen plätscherten gegen den Uferdamm. Auf der anderen Kanalseite sah man weitere Lagerhäuser und dahinter die Lichter der Stadt. Galya versuchte, den Kopf zu wenden, um mehr von ihrer Umgebung zu erkennen, aber Sam verdrehte ihr den Arm.
    »Lass das«, sagte er mehr zu sich selbst als zu ihr.
    Darius bückte sich und packte die Fußgelenke seines toten Freundes. Er zog, kam aber nicht einmal einen Meter weit, weil sich die Folie im Geröll verfing. Fluchend ließ er die Beine wieder los.
    »Helfen«, sagte er.
    »Was?«, fragte Sam.
    »Helfen«, wiederholte der Litauer. »Tomas werfen in Wasser.«
    »Ich halte schon die hier fest«, sagte Sam und packte Galyas Arm noch fester.
    »Wo soll hin?«, fragte Darius, breitete die Arme aus und deutete auf das weite Areal mit nichts als Wasser und flachen Gebäuden. Dann zeigte er auf die Leiche am Boden. »Du helfen.«
    Eine feuchte Hitze blieb auf Galyas Arm zurück, als Sam sie losließ. Er schob sie rückwärts gegen den Wagen.
    »Du rührst dich nicht«, befahl er.
    Dann ging er hinüber zur Leiche, hockte sich hin und packte sie bei den Schultern.
    Darius rief: » Vienas, du, trys, hup! «
    Keuchend hievten die Männer die Leiche ein paar Zentimeter vom Boden hoch. Schnaufend und grunzend schlurften sie zum Wasserrand. Eine blutbefleckte Hand rutschte aus der Folie und strich mit den Fingerspitzen über das lockere Geröll.
    »O Gott«, entfuhr es Sam.
    Plötzlich wummerte wie aus dem Nichts ein verzerrter Disco-Beat los. Entsetzt schrie Sam auf und ließ die Schultern des Toten los.
    Galya machte einen Schritt vom Wagen weg.
    Darius legte die Füße ab und richtete sich auf. Irgendetwas an der Leiche vibrierte. Er bückte sich wieder und riss ein Loch in die glänzende Folie. Drinnen tastete seine Hand einen Moment lang herum, dann kam sie wieder zum Vorschein, ein Handy zwischen den wulstigen Fingern. Fassungslos schaute er aufs Display, dessen Licht ihn noch blasser aussehen ließ, als er ohnehin war. Er warf Sam einen Blick zu.
    »Ist Arturas«, sagte er.
    Sam schluckte so heftig, dass Galya es in seiner Kehle glucksen hörte.
    »Gehst du dran?«, fragte er.
    Darius starrte ihn finster an. »Du dummer Mann. Ich drangehen und sagen, Bruder nicht können? Sagen, er gehen in Wasser, ja?«
    Sam fuhr zurück, als hätte die Beleidigung ihn mitten auf die Brust getroffen. »Woher soll ich denn das wissen, verdammt? Er ist dein Boss, nicht meiner.«
    »Arturas Boss von jedem«, sagte der Litauer.
    Sam machte einen Schritt vor. »Er ist dein Boss, nicht meiner.«
    Darius hielt ihm das Telefon hin, aus dem immer noch die blecherne Musik schepperte. Sein feistes Gesicht schwoll vor Wut noch mehr an. »Okay, du sagen, er nicht dein Boss, du ihm sagen jetzt.«
    »Leck mich«, sagte Sam.
    Galya verdrehte ihre Handgelenke und spürte, wie der Elektrodraht beim Herunterfallen hinten ihre Beine streifte.
    Darius trat über die Leiche hinweg und stand Sam jetzt direkt gegenüber.
    »Du glauben, du starker Mann?«, fragte er, immer noch das aufleuchtende und dudelnde Telefon in der Hand.
    Zwei Meter trennten Galya jetzt schon vom Wagen. Mit den Zehenspitzen schob sie den Draht weg, behielt die Hände aber auf dem Rücken. Sie drückte mit der Zunge gegen den Lappen in ihrem Mund, schob ihn heraus und ließ ihn zu Boden fallen. Sie beruhigte ihre Atmung.
    Sam trat auf die andere Seite der Leiche. »Hör mal, das ist jetzt nicht der Moment, dass wir uns in die Haare kriegen, oder? Wir müssen die Sache hier regeln, bevor jemand vorbeikommt und uns fragt, was wir hier mitten in der Nacht treiben.«
    Darius ließ sich nicht beruhigen. »Du besser aufpassen dein Maul, sonst du auch in Wasser.«
    Sam
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