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'Rache'-Box: Rachezug, Rachegier und Rachetrieb (German Edition)

'Rache'-Box: Rachezug, Rachegier und Rachetrieb (German Edition)

Titel: 'Rache'-Box: Rachezug, Rachegier und Rachetrieb (German Edition)
Autoren: Michael Linnemann
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darüber verlieren.“
    „Dabei dachte ich, dass du in gewisser Weise stolz auf die Narbe wärst.“
    „Ich muss zugeben, dass ich bei Zeiten Gefallen an ihr finde. Denn sie hat den Effekt, dass einige Menschen automatisch großen Respekt vor mir zeigen. Ich kann diesen Effekt nicht einmal erklären. Aber es lässt sich nicht leugnen, dass viele Personen eine Narbe im Gesicht für etwas Sonderbares halten und sich dementsprechend verhalten. Und ich genieße es in bestimmten Situationen, allein aufgrund dieses Kratzers einen gewissen Eindruck auf die Menschen zu machen. Das Problem ist nur, dass ein schmaler Grad zwischen Stolz und Prahlerei liegt.“
    Nora legte ihre Stirn in Falten. „Ich kann dir nicht ganz folgen.“
    „Wenn ich zu dir gekommen wäre und dir erzählt hätte, dass ich einen situs inversus habe, dann hättest du womöglich den Eindruck gewonnen, dass ich damit angeben möchte, weil es etwas Besonderes ist. Es ist sehr schwierig, die richtige Balance bei derartigen Dingen zu finden. Verliert man ein Wort zu viel über seine Besonderheit, dann heißt es gleich, dass man sich selbst für den tollsten Kerl hält. Diese Erfahrung musste ich mit der Narbe machen. Damals in der Schule galt ich plötzlich als Außenseiter, nachdem ich mir die Narbe zugezogen hatte. Ohne dass ich selbst etwas zu diesem Thema gesagt hätte, wurde ich von Freunden anders behandelt. Sie tuschelten über mich und behaupteten, dass ich mich für einen außergewöhnlichen Jungen halten würde. Du hast keine Ahnung, wie viele Sprüche und Beleidigungen ich mir deswegen anhören musste.“ Er ließ den Blick durch das Krankenzimmer schweifen. „Viele Mitschülerinnen und Mitschüler dachten, dass ich mich für etwas Wichtiges halten würde. Allein aufgrund dieser Annahme begannen sie, mich anders zu behandeln. Die Menschen sehen eben das, was sie sehen wollen. Und wenn sie sich einmal eine feste Meinung gebildet haben, dann kann man sie kaum noch davon abbringen. Weil ich aber nicht will, dass du diesen Eindruck von mir bekommst, hielt ich es für besser, meine Besonderheit zu verschweigen. Bei der Narbe kann ich es nicht verhindern. Beim situs inversus ist das anders.“
    „Aber das waren damals doch noch Kinder in der Schule“, warf Nora ein.
    „Das stimmt, aber solche Erlebnisse prägen sich ein. Bei mir führte genau diese Erfahrung dazu, dass ich niemandem von dem situs inversus erzählt habe. Je mehr man redet, desto verwundbarer wird man.“
    „Da ist etwas dran. Aber ich bin seit elf Jahren deine Kollegin. Ich bin deine Freundin. Mir hättest du das sagen müssen. Du kennst mich doch wohl gut genug, um zu wissen, dass ich dich wegen des situs inversus niemals mit anderen Augen gesehen hätte. Hättest du mir überhaupt jemals davon erzählt, wenn es jetzt nicht auf diese Art ans Licht gekommen wäre?“
    „Wahrscheinlich nicht. Denn es ist nicht wichtig.“
    „Es ist nicht wichtig? Es hat dir das Leben gerettet.“
    „Ja, aber im alltäglichen Leben macht es keinen Unterschied, ob mein Herz links oder rechts liegt. Ich habe zum Glück keine gesundheitlichen Einschränkungen. Ich wollte einfach immer nur Tommy sein und nicht ‚der Typ, dessen Organe falsch liegen’. Es reicht, dass ich aufgrund meiner Narbe ‚Scarface’ bin.“
    „Dieser Spitzname gefällt dir nicht?“
    „Ich habe mich an ihn gewöhnt.“
    Nora sah ihren Kollegen lange Zeit an. „Weiß Kortmann von dem situs inversus ?“
    „Ja, er weiß davon. Aber er respektiert meinen Wunsch, es nicht an die große Glocke zu hängen.“
    „Also, ich muss dir ehrlich sagen, dass ich ein wenig enttäuscht von dir bin. Kannst du dir vorstellen, wie es für mich ist, jetzt auf diese Weise davon zu erfahren? Wenn man davon überzeugt ist, eine Person gut zu kennen, dann aber so etwas mitbekommt, beginnt man zu zweifeln. Denn es beweist mir, dass du mir nicht uneingeschränkt vertraust. Du hättest mich genau wie Kortmann bitten können, niemandem von diesem Phänomen zu erzählen. Weil du das nicht gemacht hast, gehe ich davon aus, dass du nicht an meine Verschwiegenheit glaubst. Und das gibt mir zu denken.“
    „Das kann ich nachvollziehen. Und es tut mir auch leid. Ich habe oft überlegt, ob ich es dir nicht doch sagen sollte. Letztendlich hat meine Entscheidung aber nichts mit Vertrauen zu tun. Sondern mit Feigheit . Ich war nicht in der Lage, mit dir darüber zu sprechen, weil ich Angst hatte. Ich wollte nicht, dass sich irgendetwas an unserer
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