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Rabenschwärze: Das Mädchen aus Istland (German Edition)

Rabenschwärze: Das Mädchen aus Istland (German Edition)

Titel: Rabenschwärze: Das Mädchen aus Istland (German Edition)
Autoren: Markus Kammer
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ließen sie nicht aus den Augen. Die Zeit verging, die Sonne kletterte über die Berge am Horizont und tauchte den Ort in ein warmes, goldgelbes Licht. Elsa bekam Angst. Wenn sie von hier aus keinen Weg zurück fand, wo fand sie ihn dann? Was würden die Wächter mit ihr machen, wenn sie jetzt nicht floh? Sie sah sich nach ihnen um.
    „ Das reicht“, sagte der eine von beiden. „Wir sollten jetzt gehen.“
    Elsa fürchtete sich, als er das sagte. Es hörte sich an, als sei ihre Zeit abgelaufen.
    „ Wohin?“, fragte sie.
    „ Nach Brisa“, antwortete er.
    Elsa erinnerte sich an die Geschichten, die sie von Tinka gehört hatte. Aus Brisa kam die klügste und schönste Frau des Landes, die so plötzlich verschwunden war.
    „ Nach Brisa?“, fragte der andere Riese. „Wollten wir nicht hier abbiegen, Anbar?“
    „ Nein“, antwortete Anbar. „Der Weg nach Brisa erscheint mir günstiger. Gehen wir.“
     
    Elsa musste zwischen den beiden Wächtern marschieren, einer ging voraus, der andere hinter ihr her. Unter Tag, in ihrem schweren Mantel, wurde ihr warm. Vor allem, wenn sie bergauf stiegen.
    „ Wie heißt du?“, fragte Elsa den Wächter, der hinter ihr ging. Sie wollte ihn davon ablenken, dass sie langsamer geworden war.
    „ Romer“, antwortete er.
    „ Und der da vorne heißt Anbar?“, fragte sie.
    „ Ja, so heißt er.“
    Ein Vormittag genügte Elsa, um zu wissen, welchen von beiden Wächtern sie lieber mochte. Romer hatte dunkle Locken, warmherzige braune Augen und war freundlich. Wenn Elsa etwas fragte, gab er Antwort und beugte sich sogar hinab zu ihr, damit sie ihn auch gut verstehen konnte. Von Anbar sah sie hauptsächlich den blonden Haarschopf weit vor sich, denn Anbar ging schnell. Er drehte sich fast nie um und verließ sich darauf, dass Romer Elsa vorwärts scheuchte. Wenn Anbar mal ein Wort mit Romer wechselte, dann legte sein Blick ihr nahe, dass sie den Mund zu halten hatte, bis sie in Brisa ankämen. Er ließ sich deutlich anmerken, dass sie ihm ein Ärgernis war. Dabei wäre sie liebend gerne aus seiner Nähe verschwunden, wenn er sie nur gelassen hätte.
    „ Wie weit ist es nach Brisa?“, fragte Elsa, als Anbar wieder weit vorne war und Romer neben ihr ging.
    „ Eine Woche mit dem Schiff“, antwortete Romer.
    „ Was machen wir in Brisa?“
    „ Ich habe keine Ahnung. Der Plan mit Brisa ist mir neu.“
    „ Hat der König befohlen, dass ihr auf mich aufpassen sollt?“, fragte Elsa
    „ Ja“, sagte Romer. „Denn er kann sicher sein, dass du uns nicht entkommst.“
    „ Ich bin unschuldig“, sagte sie. „Ich kenne diesen Rabenmann überhaupt nicht.“
    „ Mag sein. Es spielt auch keine Rolle, ob du ihn kennst.“
    „ Was spielt dann eine Rolle?“
    „ Du bist aus dem Nichts gekommen. Das spielt eine Rolle.“
    „ Warum?“
    „ Der König hält dich für gefährlich.“
    „ Mich? Was soll ich denn tun? Ich kann ja nicht mal weglaufen!“
    „ Nein, kannst du nicht“, sagte Romer und schob sie vorwärts. „Jetzt geh schneller, sonst bekommen wir Ärger mit Anbar.“
     
    Mittags kehrten sie in eine Gaststube ein. Es gab wieder so eine Suppe, die sie nicht mochte, aber sie wagte es nicht, nach etwas anderem zu fragen. Sie beobachtete Romer und Anbar, die aussahen, wie man sich Kriegshelden aus alten Sagen vorstellt: groß, ernst, geduldig und in sehr wichtigen Angelegenheiten unterwegs. Dabei bewachten sie nur ein kleines Mädchen. Die beiden Männer löffelten ihre Suppe, ohne auf ihr Starren zu achten.
    „ Ist das nicht ärgerlich, dass ihr mit mir durch die Gegend laufen müsst?“, fragte sie und wandte sich dabei deutlich an Romer.
    „ Nein“, antwortete der.
    „ Ist es nicht langweilig?“
    „ Nein.“
    „ Warum nicht?“
    „ Es ist eine Aufgabe wie jede andere auch“, erklärte Romer.
    „ Warum gehen wir zu Fuß?“
    „ Weil das unauffälliger ist.“
    „ Warum müssen wir unauffällig sein?“
    „ Frag nicht immer, warum“, murrte Anbar. „Wie heißt du überhaupt?“
    „ Das geht euch nichts an!“
    Zum ersten Mal sah Anbar von seinem Teller auf. Er hatte eisig graue Augen und einen Blick, der einen sogar Dinge bereuen lässt, die man gar nicht getan hat.
    „ Elsa, wenn du es unbedingt wissen willst“, sagte sie zu ihm. „Was wird aus mir? Warum gehen wir nach Brisa?“
    „ Wir begleiten dich, bis du weißt, was wir wissen müssen“, antwortete Anbar.
    „ Und das ist?“
    „ Die Wahrheit.“
    Die Wahrheit. Punkt. Die Wahrheit wollte Elsa auch
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