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Rabenschwärze: Das Mädchen aus Istland (German Edition)

Rabenschwärze: Das Mädchen aus Istland (German Edition)

Titel: Rabenschwärze: Das Mädchen aus Istland (German Edition)
Autoren: Markus Kammer
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ich jedenfalls gehört.“
    Tinka zog den Kopf ein, als sie das sagte.
    „ Ich bin mit einem Vogel gekommen?“
    „ Nein mit einem Mann, den man Rabe nennt!“
    „ Von so einem Mann habe ich noch nie gehört“, sagte Elsa. „Wer ist er?“
    „ Er ist ein Teufel oder ein Geist. Vielleicht auch ein Zauberer“, erklärte Tinka. „Man weiß es nicht so genau. Man weiß nur, dass er vor acht Jahren unseren König ermordete und die klügste und schönste Frau des Landes raubte.“
    „ Bei euch gibt es Teufel und Zauberer?“, fragte Elsa erstaunt.
    Tinka ging darauf nicht ein.
    „ Jetzt wurde er in den Zerfurchten Wiesen gesehen“, erklärte sie weiter. „Dort, wo die Ruinen der alten Kapelle sind. Der Rabe ist entkommen, aber du warst noch da, dich haben sie gekriegt. Nun warten sie, bis der Rabe zurückkommt, um dich zu befreien.“
    „ Ich habe euren Raben noch nie gesehen“, sagte Elsa. „Ich bin unschuldig!“
    Das Misstrauen stand deutlich in Tinkas großen Augen.
    „ Wenn du unschuldig bist, dann tut es mir leid“, sagte sie. „Aber du musst verstehen: Der Rabe hat König Nadas Bruder umgebracht! Außerdem hat er die Frau entführt, die der König gerne geheiratet hätte. Sie hieß Morawena. Überall im Schloss hängen Bilder von ihr.“
    „ Wo ist sie jetzt?“, fragte Elsa.
    „ Das weiß niemand. Der Rabe schoss einen Pfeil aus dem Nichts auf König Gerard ab. Morawena verschwand im gleichen Augenblick.“
    „ Wie schießt man einen Pfeil aus dem Nichts ab?“
    „ Der Rabe war unsichtbar, als er ihn abschoss.“
    Elsa lachte. „Klärt ihr eure Morde immer so auf?“
    „ Es ist nicht lustig“, sagte Tinka. „Es ist eine traurige Geschichte. Morawena war eine Kaufmannstochter aus Brisa, die hier am Hof aufwuchs. Beide Königssöhne wollten sie heiraten, doch sie lehnte beide Heiratsanträge ab und lebte alleine in einem Haus im Wald. Vor acht Jahren geschah es – König Gerard starb und Morawena verschwand für immer. Unser König hat Rache geschworen und du wirst dafür büßen müssen!“
    Elsa verging das Lachen, als sie das hörte.
    „ Ich habe nichts mit eurem Rabenmann zu tun“, beteuerte sie.
    „ Ich muss jetzt gehen“, sagte Tinka. „Schlaf gut.“
     
    Als Tinka fort war, untersuchte Elsa ihr Zimmer. In der Schublade ihres Nachtschranks fand sie getrocknete Blätter, die zerbröselten, sobald sie sie berührte. Im Fach darunter lagen Bücher: ein kundrisches Wörterbuch (was auch immer kundrisch war, sie benutzten jedenfalls eine Schrift, die ungefähr so aussah: ““““““““““““) und ein Roman namens ‚Bolhins Reisen’. Im Regal auf der anderen Seite des Zimmers stand eine Dose aus Metall, die hatte die Form einer Schildkröte. In ihrem Inneren lag eine weiße Feder. Was Elsa seltsam berührte, war die Zeichnung eines Mädchens, die über der Waschschüssel hing. Der Hals des Mädchens war zu dick, ein Auge zu weit oben. Das Mädchen kam Elsa bekannt vor, auf traurige Weise. ‚Agnes’ stand darunter.
    Draußen auf Elsas Balkon war die Luft lau wie an einem istländischen Sommerabend. Viele Rabenkrähen saßen auf den Dächern und wurden immer schwärzer gegen den Himmel. Rosa glühten Mauern, Bäume und Wege, bis die Nacht alle Farben zudeckte. Elsa hörte König Nadas Wächter auf den Wegen auf- und abschreiten. Sie war noch zu wach, um zu schlafen, deswegen stellte sie sich ihre Lampe ans Bett, kroch unter das schwere Federbett und begann ‚Bolhins Reisen’ zu lesen.
    Hier erlitt ein Mann Schiffbruch und wurde an eine Insel gespült, auf der die Menschen nicht sprachen, sondern aus den Ohren rülpsten. Natürlich hieß es nicht „rülpsen“ – es hieß: „Gurgelnd wie die Meermänner unter See sprudelten sie Laute aus, denen Bolhins Verstand nicht gewachsen war.“ Das Buch war langatmig geschrieben. Elsa las es trotzdem. Es ließ sie vergessen, wie dumm sie war. Denn ihrer Dummheit schrieb sie es zu, dass sie hier war und sich nicht befreien konnte. So erfuhr sie, dass Bolhin nicht aus den Ohren rülpsen konnte, aber den fremden Menschen beibrachte, mit seltenen Muscheln zu tauschen und zu zahlen. Elsa las bis tief in die Nacht hinein, machte irgendwann peinlich berührt Gebrauch von ihrem Nachttopf und schlief dann, bis die fremde Sonne wieder aufging.
     
    Am späten Vormittag brachte Tinka eine Brühe mit einem Fenchelherz darin. Elsa fand die Suppe widerlich, doch Tinka sagte, der König bekomme das gleiche Essen.
    „ Wann lässt mich
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