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Rabenschwärze: Das Mädchen aus Istland (German Edition)

Rabenschwärze: Das Mädchen aus Istland (German Edition)

Titel: Rabenschwärze: Das Mädchen aus Istland (German Edition)
Autoren: Markus Kammer
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Himmel, das sie aus ihrem Verschlag heraus beobachten konnte. Er zog vorbei. Sie wartete, ob ein neuer käme. Erst da fiel ihr auf, dass sie geschlafen haben musste. Denn eben war noch Tag gewesen. Sie erinnerte sich, dass man ihr etwas zu trinken unter der Tür hindurchgeschoben hatte. War Schlafmittel darin gewesen? Ihr Kopf fühlte sich taub an. Ihr fiel ein, dass Anbar so viel von der klügsten Frau des Landes gehalten hatte. Wieso spielte er sich auf und nannte sie gütig, wenn er keine Skrupel hatte, seine Schutzbefohlene zu verkaufen? Gut, Romer hatte ihr etwas gegeben und gesagt, sie träfen sich in Pönza wieder. Aber darauf konnte sie verzichten. Elsa betrachtete das leere Dreieck Himmel. Still füllten sich ihre Augen mit Tränen. Ihre Lage war unbequem und erniedrigend. Sie war im Stich gelassen worden von Menschen, denen sie vertraut hatte. Sie zog die Nase hoch, immer wieder, bis die Tränen aufhörten. Sie hörte, wie das Schiff übers Wasser glitt, ein bisschen Wind im Segel. Ansonsten war es unheimlich ruhig. Sie hatte keinen Hunger, aber Schmerzen vor Hunger. In dieser Nacht konnte sie nicht schlafen, sie blieb wach, bis am frühen Morgen jemand „Aufwachen, Hexe!“ rief.
    Ein Teller wurde unter der Tür durchgeschoben. Die gelben, gerösteten Stücke, die darauf lagen, schmeckten wider Erwarten gut. Als Elsa trotzig rief, sie wolle noch mehr, bekam sie noch mal einen ganzen Teller voll. Misstrauisch roch sie am Wasser, das dem Essen folgte, aber es roch normal. Was nutzte es auch, sie musste es ja doch trinken, weil sie durstig war. Sie zog ein reichlich mitgenommenes ‚Bolhins Reisen’ aus ihrer Rocktasche hervor, hielt es gegen einen Lichtschlitz in der Brettertür und las. Es war das Beste, was sie tun konnte. Es bewahrte sie davor, verrückt zu werden.
     
    Bolhin wurde an eine andere Küste gespült. Eine verlassene, wie er glaubte, bis er bemerkte, dass die Bewohner dieser Welt unsichtbar waren. Das wirklich Komplizierte an der Sache war, dass sie ihn ebenso wenig sehen konnten. Die Unsichtbaren sahen sich gegenseitig, doch sie sahen Bolhin nicht. Bolhin sah die Unsichtbaren nicht und hätte wahrscheinlich seinesgleichen gesehen, doch die gab es nicht. Bolhin hätte so tun können, als wäre er nicht da, doch er wurde dauernd angerempelt und sehnte sich nach Gesellschaft, also begann er, sich mit den Einheimischen zu verständigen. Sie waren zutiefst beeindruckt, denn einen Unsichtbaren hatten sie noch nie gesehen. Er wurde in den Palast eingeladen, wo er Kunststücke machte, die keine waren. Er trug eine Lampe des Königs herum und die Unsichtbaren quietschten vor Vergnügen, weil die Lampe wie von alleine durch den Raum flog.
    Bolhin aber war unglücklich. Er bekam die besten Speisen, die er vor den Augen aller Unsichtbaren verspeisen musste. Jedes Mal, wenn er den Löffel in den Mund schob, lachten und schrien sie. Am Abend, als er endlich alleine auf seinem Zimmer sein durfte, klopfte es. Eine unsichtbare Königstochter kam zu Besuch und verwöhnte ihn. Es war für Bolhin ein ganz neues Gefühl, von so einer Unsichtbaren am Bart gezupft zu werden. Er gewöhnte sich daran und blieb. Ein Jahr und einen Tag später sollte er die Königstochter heiraten. Sie war nur die fünfte Tochter von oben und die dritte von unten. Er würde kein Königreich erben, doch hätte er für den Rest seines Lebens ausgesorgt. Am Morgen des Hochzeitstages, als die kichernden Gäste schon überlegten, ob die Kinder des Paares sichtbar oder unsichtbar sein würden, kletterte der Bräutigam aus dem Fenster und schlich davon. Unsichtbar, wie er war, kam er schnell ans Meer, wo er sich ein großes Boot nahm – ein besseres als das letzte – und davon segelte. Elsa hatte das Kapitel gerade beendet, als sie laute Stimmen hörte.
    „ Ich schwör’s! Da war eben ein Mann, der sich in Luft aufgelöst hat!“
    „ So ein Quatsch!“
    „ Ist doch kein Wunder, dass wir wegen der Hexe Gespenster hier haben!“
    Eine dritte Stimme mischte sich ein:
    „ Ich will die nicht länger auf meinem Schiff haben! Ich will sie nie gesehen haben!“
    „ Sie ist aber da, Mann. Dein Schiff schwimmt noch, wie du siehst, die Pest haben wir auch nicht, kein Mann über Bord. Also, was soll das? Sie ist wehrlos wie eine Maus.“
    „ Ach ja? Warum schickst du dann nur den Blinden hin? Weil du dir selber in die Hose scheißt, deswegen!“
    Ein lautes Lachen war zu hören.
    „ Am nächsten Hafen geht ihr von Bord.“
    „ Nimm uns mit
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