Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Rabenschwärze: Das Mädchen aus Istland (German Edition)

Rabenschwärze: Das Mädchen aus Istland (German Edition)

Titel: Rabenschwärze: Das Mädchen aus Istland (German Edition)
Autoren: Markus Kammer
Vom Netzwerk:
um ihre Antwort zu überdenken. Sie sagte leichthin:
    „ Sie war schön und klug und ist mit dem Rabenmann verschwunden. Bestimmt kennt sie ihn. Vielleicht hat sie ja sogar den König auf dem Gewissen. Und der arme Rabenmann ist unschuldig.“
    „ Du meinst, sie hat König Gerard ermordet?“
    „ Warum nicht?“
    „ Sie war der gütigste Mensch, den man sich vorstellen kann“, sagte Anbar.
    „ Natürlich“, erwiderte Elsa. „Das klingt ja auch viel besser. Vielleicht war sie aber auch geltungsbedürftig und böse und hat den König umgebracht, weil sie es ungerecht fand, dass er König war und nicht sie.“
    „ Du kennst dich ja aus“, sagte Anbar.
    Er ließ sich zurückfallen und ging schweigend in der Dunkelheit hinter ihr her. Romer drehte sich nach einiger Zeit um.
    „ Sie hieß Morawena“, sagte er. „Hast du sie jemals getroffen?“
    „ Nein. Wie denn?“
    „ Anbar schon.“
    Elsas Misstrauen gegen die Unbekannte wuchs. Wer war diese Frau, die anscheinend das ganze Land verhext hatte? Wie konnte man so überzeugend sein? Als sie nach Stunden einen Gasthof erreichten, bekam Elsa ein eigenes Zimmer. Die beiden brachten sie zur Tür und nahmen nicht mal den Schlüssel mit, um von außen abzuschließen. Sie dachten wohl, dass Elsa zu müde war, um zu fliehen, und sie hatten recht. Sie legte sich gleich ins Bett, doch der erlösende Schlaf wollte nicht über sie kommen. Ihre Finger waren eiskalt, ihr Rücken und ihre Füße schmerzten. Sie fürchtete sich. Umso länger sie dalag und einschlafen wollte, desto unheimlicher wurde ihr zumute. Was, wenn der Dichter mit den schmutzigen Fingern wieder auftauchte? Wenn er der böse Rabenmann war? Wenn er doch ein Mörder war?
    Sie hatte Heimweh, plötzlich so sehr, dass sie zu weinen anfing. Sie schluchzte unter ihrer Decke in ihre Fäuste hinein. Wenn doch bloß Puja hier im Zimmer säße und nähte, so wie sie es tat, wenn Elsa krank im Bett lag. Elsa würde nicht widersprechen, wenn es darum ging, dass sie in Papa Wenslafs Laden helfen sollte, anstatt zur höheren Schule zu gehen. Was gab es für einen Unterschied zwischen Laden und Schule, wenn beides in einer Welt war, in der es mit rechten Dingen zuging? Endlich schlief sie ein und sah sich selbst, wie sie im Laden Köpfe verkaufte. Ja, abgeschlagene Köpfe, es war ein schrecklicher Traum. Als sie wieder aufwachte, war ihr so elend zumute, dass sie ihre Decke nahm und bei Romer und Anbar klopfte. Zu ihrer Überraschung öffnete Anbar sofort die Tür.
    „ Was ist los?“, fragte er einigermaßen freundlich, woraufhin Elsa wieder in Tränen ausbrach.
    „ Komm“, sagte er und zeigte auf sein unberührtes Bett. „Leg dich da hinein, ich passe auf.“
    Elsa sah sich um, Romer war nicht im Raum. Anbar bemerkte ihren suchenden Blick, sagte aber nichts, sondern setzte sich neben das Bett auf den Boden, wo er wahrscheinlich schon gesessen hatte, bevor sie geklopft hatte. Er saß dort an die Wand gelehnt und starrte vor sich hin, als wäre Elsa nicht anwesend. Sie kroch unter die Decke, zitterte noch eine Weile vor Kälte und Schrecken, beruhigte sich dann aber so weit, dass sie sich über Romers Abwesenheit wundern konnte.
    „ Wo ist er?“, fragte sie.
    „ Unterwegs“, sagte Anbar.
    Sie versuchte zu schlafen, doch beim ersten Gedanken an zu Hause kamen ihr wieder die Tränen. Sie fühlte sich fremd und alleine mit diesem brummigen Wächter in einer fernen Welt inmitten der Nacht. Die Sehnsucht nach ihrer Familie wurde übergroß. Möglichst leise schluchzte sie in ihre Decke, doch Anbar hörte es trotzdem.
    „ Was hast du?“, wollte er wissen.
    „ Heimweh“, murmelte sie. „Nach Istland.“
    „ Aus Istland kommst du also“, sagte er, ohne sie anzusehen. „Wo auch immer das ist.“
    „ Ich will nach Hause. Weißt du, wie ich zurückkommen kann?“
    „ Nein.“
    „ Das dachte ich mir“, sagte sie und zog dabei mit der Nase hoch. „Anstatt mich zu bewachen, solltet ihr lieber meinen Entführer finden und ihm sagen, dass er mich zurückbringen soll.“
    Er schwieg.
    „ Warum schläfst du eigentlich nicht?“, fragte sie.
    „ Hör zu“, sagte er und wandte ihr sein Gesicht zu. „Du schläfst jetzt und ich bleibe wach. Der Tag morgen wird anstrengend.“
    „ Warum?“
    „ Weil es ein paar Leute gibt, die dich nicht mögen. Solange ich wach bin, kannst du schlafen, denn diese Leute werden dich nicht bekommen. Und wenn du mich noch einmal fragst, warum, dann stehe ich auf, gehe aus dieser Tür
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher