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Quasikristalle: Roman (German Edition)

Quasikristalle: Roman (German Edition)

Titel: Quasikristalle: Roman (German Edition)
Autoren: Eva Menasse
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Claudia ein unsicherer und gerne vernachlässigter Faktor. Aber wie die Erbse im Bett der Prinzessin schien es sie zu drücken, das wiederkehrende Läuten des Telefons, das sie hie und da hörten, wenn die Fenster der Villa offenstanden, Heinz nicht bohrte oder sägte und der Wind aus der richtigen Richtung kam.
    Judith wollte unbedingt Shit kaufen; oben bei den Heurigen war sie einmal von einem Burschen angesprochen worden. Auf seiner Handfläche, die er ihr sekundenkurz zeigte, hatten Aluminiumkügelchen geglitzert, von denen sie sich einiges versprach. Xane vermied das Thema, so gut es ging; wenn Judith sie direkt darauf ansprach – kommst du jetzt mit oder nicht? Ich geh auch allein! –, behauptete sie, sie fände es schade ums Geld. Wahrscheinlich war sie von der Anti-Drogen-Propaganda ihrer Eltern paralysiert und stellte sich vor, dass sie durch die Welt taumeln würde wie eine Hypnotisierte und nicht im Geringsten mehr wüsste, was sie sagte oder tat. Zur Ablenkung maulte sie, dass sie das für kindisch halte, ein teures, wirkungsloses Spielzeug für solche, die allein auf die Verlockung von Verboten hereinfielen.
    Eines Morgens setzte Judith fest, dass sie an diesem Tag, unabänderlich, das Zeug kaufen und rauchen werde. Widerwillig kam Xane mit.
    Auf dem Weg nach oben, kurz vor den Heurigen und dem Prominentenrestaurant, wo sie den Burschen mit den Kügelchen damals gesehen hatte, stand eine Telefonzelle. Von dort, schlug Xane vor, könnte sie ihre Mutter anrufen, um ihr endlich ihren Entschluss zum Schulwechsel mitzuteilen. Vielleicht, wenn alles halbwegs glattging, konnte man sie dazu bringen, abends mit Judiths Eltern zu telefonieren.
    Okay, fragte Xane, ist das okay für dich?
    Sie zuckte die Schultern.
    Judith, drängte Xane, ich kann nicht behaupten, du willst auch unbedingt, und dann fragen sie dich, und du sagst, dir ist es egal…
    Mir ist es nicht egal, sagte sie, ich will nicht allein bei Claudia und der Fausch bleiben.
    Sie saßen im Gebüsch an der Grundstücksgrenze und rauchten. Einmal waren sie auf dem Panoramaweg von irgendwelchen Mumien gefragt worden, ob sie schon sechzehn seien. Während Xane die Augen niederschlug und vermutlich am liebsten die Zigarette ausgetreten hätte, fragte Judith zurück: Und Sie, waren Sie bei den Nazis? Aber seither rauchten sie erst im Garten fertig und gingen danach hinaus.
    Als sie bei der Telefonzelle ankamen, wollte Xane doch zuerst den Burschen suchen, da sie gar nicht wüssten, ob sie ihn überhaupt fänden. Oben, bei den Heurigen, war niemand. Judith lehnte sich an einen Zaun und zog die nächste Zigarette hervor.
    Was machen wir jetzt, fragte Xane, und sie sagte: Warten, was sonst?
    Nach einer Weile erschien ein kleiner Bub, höchstens acht, sie winkte ihn herbei. Als sie ihm sagte, was sie wollte, lief er weg. Nach einer Weile tauchte der Typ auf, Xane hielt sich abseits, als würde sie gar nicht dazugehören. Sie ging sogar ein paar Schritte weg, stand an der Straße und sah in die Landschaft. Sie ließ sie alles allein machen.
    Als es vorbei war, schlenderte Judith zu ihr hinüber: Gehen wir?
    Hat’s nicht geklappt, fragte Xane, gerade so, als würde sie sich freuen, und Judith hob die Augenbrauen und sagte: Doch, wieso?
    Nun fühlte sie sich hoffentlich wie ein Vollidiot.
    Sie näherten sich der Telefonzelle.
    Sie fragte, hast du überhaupt genug Schillinge, und Xane sagte, sicher. Und damit war klar, dass sie es tun musste, den Stein lostreten, obwohl sie es beide in diesem Moment vielleicht gar nicht mehr wollten.
    Xane brauchte lange; Judith sah sie Münzen einwerfen, wählen, sprechen und den Bügel wieder herunterdrücken, die Münzen aus dem Metallfach klauben und neu einwerfen. Wahrscheinlich musste sie ihre Mutter erst finden; die befand sich immer irgendwo zwischen Friseur, Freundinnen, Kaffeehaus und Tennisclub. Xane hatte alle Nummern im Kopf.
    Xanes Mutter lobte auch Judith gegenüber gern und wortreich die Schönheit von Judiths Mutter. Xane, die oft abfällig über ihre Mutter und deren Oberflächlichkeiten sprach, unterstellte ihr, nicht fassen zu können, dass eine Frau, die arbeitete, trotzdem gut aussah. Doch Judith hörte in Frau Molins Worten den melancholischen Neid. Ihre Eltern wurden von vielen, besonders den Frauen, als das perfekte Paar angesehen, weil sie alles gemeinsam machten, die Bäckerei gemeinsam führten, gemeinsam ein altes Haus renovierten, das war die allgemein verbreitete Ansicht. Sie stimmte ja auch,
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