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Quasikristalle: Roman (German Edition)

Quasikristalle: Roman (German Edition)

Titel: Quasikristalle: Roman (German Edition)
Autoren: Eva Menasse
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dabei tief und unheimlich, so ähnlich wie ihr Hund die Tauben anbellte. Allmählich wurde sie leiser, weniger aufgeregt, aber bevor sie zu weinen begann, zog Judith Salome von der Tür fort, und sie schlichen zurück in ihr Zimmer. Dort brannte inzwischen Licht. Xane saß quer im Bett, mit dem Rücken zur Wand, und schaute erschrocken. Was ist los, fragte sie, während in der Küche Glas splitterte, ist etwas passiert, und da musste Judith wieder lachen.
    Aber nein, sagte sie mit dem verbindlichsten Gesichtsausdruck, zu dem sie fähig war, während sie für ihre kleine Schwester die Bettdecke hob, die Mama badet halt manchmal mitten in der Nacht, das ist ganz normal, frag Salome. Und Salome nickte eifrig und wiederholte, sie badet, die Mama badet jetzt nur, und schlüpfte in Judiths Bett, schob sich an ihr vorbei, dicht an die Wand, rollte sich dort ein und schlief.
    Am nächsten Tag stand Mama in der Küche, blass und duftend, und kochte Marmelade ein. Xane, sagte sie und lächelte mit zur Seite gelegtem Kopf, dass man sie umarmen hätte mögen, immer größer, immer hübscher – geht’s dir gut? Habt ihr’s schön, ihr zwei? Und Xane nickte und schien beruhigt und ging ihr natürlich gleich mit den Unmengen an Zwetschken und Marillen zur Hand, die Heinz wohl in aller Herrgottsfrühe vom Großmarkt geholt hatte. Die rituelle Frage, ob sie sich auf die Schule freue, nutzte Xane sofort dazu, ihre Altgriechisch-Zweifel auszubreiten, sie ging sogar so weit, zu gestehen, dass man sich noch bis kurz vor Schulbeginn in einer anderen Schule anmelden könne, dass sie das herausgefunden habe, aber Mama lächelte nur, wie benommen vom Fruchtgeruch, und murmelte abwehrend, sie wisse nicht, davon verstehe sie zu wenig, um ihr raten zu können, und Judith wäre gewiss sehr traurig, wenn Xane die Schule verließe. Und sie selbst übrigens auch.
    Judith schaute, dass sie davonkam.
    Später, als Salome und sie sich verkeilt am Boden wälzten, kamen die beiden angerannt wie ein Einsatzkommando. Mama hatte nicht einmal das Obstmesser weggelegt. Als Salome sie sah, schwoll ihr grässliches Kreischen ins Fortissimo an, sie boxte und trat, als gäbe es vor Publikum Extrapunkte. Es gelang ihr, sich loszureißen, und sie stürzte zu ihrer Mutter. Als sie die Arme um sie schlang, hob diese nur abwehrend die Ellenbogen und ließ sich festhalten. Ihre Hände waren wahrscheinlich klebrig vom Einkochen.
    Judith setzte sich auf.
    Sie hat in mein Bett gemacht, sagte sie und zeigte auf die zerwühlten Decken. Und jetzt will sie es nicht neu überziehen.
    Das stimmt nicht, heulte Salome, ich hab nur Wasser ausgeschüttet. Judith zog das Leintuch zu sich her, knüllte es zusammen und warf es in ihre Richtung: Beweis es mir, indem du daran schleckst.
    Ihre Mutter lehnte im Türrahmen und sagte nichts. Noch immer hielt sie, wie ein fluchtbereiter Vogel, die Arme von ihrer jüngeren Tochter weg und in die Höhe, in einer Hand das Messer.
    Xane hob das Leintuch auf. Wo gibt’s ein neues, fragte sie, und Judith sah sie böse an und sagte: Der Wäschekasten ist im blauen Salon. Xane floh und hatte wohl Mühe, das Richtige zu finden, denn als sie endlich zurückkam, flocht Judith Salome einen Zopf, und Salome hielt ihre Schachtel mit den bunten Tüchern auf dem Schoß, von denen sie unbedingt eines Xane und eines ihrer Schwester schenken wollte. Durch das Haus zog Obstgeruch.
    In diesen Tagen rief immer wieder Claudia an, doch im Hause Baer ging man selten zum Telefon. Der Vater war meistens zu weit weg und zu geräuschvoll beschäftigt, die großen Mädchen trieben sich, wenn sie nicht in den Weinbergen spazierengingen, weit hinten auf dem Grundstück herum, die Mutter wich dem Apparat aus wie jedem anderen Fremden, und so antwortete, wenn überhaupt, Salome, die oft in der Küche saß und malte. Wie alle Elfjährigen hatte Salome ein schlechtes Gedächtnis. Deshalb richtete sie Claudias Botschaft, dass sie zurück sei und Judith und Xane unbedingt treffen wolle, nicht nur zu spät aus, sondern auch ohne leidenschaftliches Drängen.
    Die Keuschli hat ihre Ziegen und Kühe im Stich gelassen, sagte Judith träge, während sie in der Hängematte schaukelte, und Xane stöhnte: Jetzt ist ihr natürlich fad.
    Sie konnten sie nicht gebrauchen, nicht gerade jetzt. Judith hatte schon mit dem körperlosen Tom, der ihr einen beträchtlichen Anteil an Xane stahl, genug zu kämpfen, und Xane brütete über der besten Strategie für den Schulwechsel. Da war
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