Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Quasikristalle: Roman (German Edition)

Quasikristalle: Roman (German Edition)

Titel: Quasikristalle: Roman (German Edition)
Autoren: Eva Menasse
Vom Netzwerk:
waren, aber abends ließ sie sich von ihrem neuen Freund Heinz beibringen, wie man Nudeln kochte oder Reis, sie rührte mit ihm Salatsoßen und benahm sich in jeder Hinsicht wie das Prämienmodel aus dem Tochterkatalog. Wenn die Schwestern beim Zähneputzen stritten, bis Judith brüllte und Salome biss, vermittelte Xane mit makelloser Fairness, schien aber insgeheim, genau wie der Vater, der Meinung zu sein, dass Judith übertreibe. Zur Strafe für alle, auch für sich selbst, ging Judith dazu über, nicht mehr Papa zu sagen, und so hatte nur noch Salome einen Papa, und die großen Mädchen hatten einen Heinz, der ihnen abends sogar einen Schluck Wein erlaubte.
    Tom hatte Xane ausgelacht, als er hörte, dass sie im Herbst mit Altgriechisch beginnen würde. Damit, hatte er gesagt, könne man ja nicht einmal in Griechenland Kellner werden. Xane erhob den blöden Spruch zum Gesetz. Sie benutzte ihn auch gegenüber Judiths Vater, hier natürlich als ihre eigene Schöpfung, und ihre hohen Wangenknochen färbten sich unter Judiths Blick. Sie verließ sich auf Judith, und Judith fragte sich, wieso.
    Heinz blieb gelassen, er hatte selbst Altgriechisch gehabt, und ein paar Jahrgänge vor ihm hatte man sogar Hebräisch gelernt. Dass man als Bäcker weder Platon noch Homer brauche, könne er bestätigen, sagte er mit ironischem Lächeln, andererseits habe nicht jedes Wissen einen direkten Nutzen. Man übe das Denken, so wie ein Sportler seine Kondition stärke. Als er Judiths Mutter begegnete, studierte er Bratsche und Komposition, doch davon hatten seine Töchter damals keinen Schimmer.
    Ich bin sicher, er erlaubt es, flüsterte Xane am Abend, als sie in den Betten lagen. Sie war von ihrem geheimen Plan, in letzter Minute gemeinsam die Schule zu wechseln, inzwischen genauso besessen wie von diesem Tom.
    Wahrscheinlich erlaubt er mir alles, was du darfst, antwortete Judith und war sich keineswegs sicher. Sie fühlte sich außerstande, an die Schule auch nur zu denken, sie konnte keine Entscheidung treffen, sie hatte weder Kraft noch Eile. Sie wollte es laufen lassen, selbst wenn das am Ende Altgriechisch hieß und sie schon in Latein keine Leuchte war. Sie wollte weiter mit Claudia und Xane in die Schule gehen und nachher mit beiden oder einer von beiden für die Hausübungen in die Bäckerei, Vokabeln lernen, Kakao und Kipferl, und es war ihr sowieso egal, was man sie, wo auch immer, zu lernen zwang. Sie wollte bestimmt nicht ohne Xane, nur mit Claudia und Altgriechisch zurückbleiben, aber Claudia alleinzulassen schien ihr auch nicht okay. Sie hasste diesen Tom, das war die einzige Gewissheit, die sie aber verbergen musste. Am liebsten wäre ihr ein endloser Sommer gewesen, mit Xane und den Zigaretten hinten im Garten und abends die Schallplatten, und vielleicht würde Xane irgendwann aufhören, Briefe zu schreiben, und noch später würde etwas passieren oder auch nicht, und eines Tages wäre trotzdem, wie von selbst, klar, wie es weitergehen sollte.
    Wirst du mit ihm schlafen, fragte sie, ohne zu flüstern, in die Dunkelheit.
    Judith! Spinnst du?!
    Wieso? Da denkst du sicher drüber nach.
    Nein, da denk ich nicht drüber nach! Das kann ich mir überhaupt nicht vorstellen, und außerdem geht es mir nicht darum, aber das verstehst du sowieso nicht.
    Vielleicht geht es ihm ja darum, sagte Judith und grinste, ohne dabei gesehen zu werden.
    So ist er nicht, zischte Xane, was weißt denn du. Halt einfach den Mund.
    Judith wurde mitten in der Nacht von Geräuschen geweckt, denen sie im Aufwachen ratlos nachlauschte. Als sie ihr Zimmer verließ, kam ihr im Dunkeln Salome entgegen. Mit nackten Füßen, Hand in Hand, folgten sie dem Lärm nach unten bis vor die angelehnte Küchentür. Durch den Spalt beobachteten sie ihre Mutter, die in der Wanne saß, mit den Händen aufs Wasser patschte, spritzte und lachte und sang, manchmal schrie sie etwas, doch die Kinder verstanden es nicht. Ihr Vater stand davor, mit ausgebreitetem Handtuch, ein tragischer Torero, und bettelte. Zwischendurch setzte er sich an den Tisch, das Handtuch über den Knien, stützte die Ellbogen auf und schüttelte den Kopf in den Händen. Einmal stand er schnell auf, ließ das Handtuch zu Boden gleiten, eilte mit großen Schritten zu ihr und packte sie am Oberarm. Salome drückte Judiths Hand fester. Aber die Mutter lachte nur, sie warf den Kopf in den Nacken und schüttelte ihn blitzschnell hin und her, dass die Haare flogen wie ein nasser Pelz, und sie lachte
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher