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Quasikristalle: Roman (German Edition)

Quasikristalle: Roman (German Edition)

Titel: Quasikristalle: Roman (German Edition)
Autoren: Eva Menasse
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irgendwie.
    Frau Molin wiederum blieb für Judith ein freundliches Rätsel, manchmal überbesorgt, dann wieder äußerst großzügig. Im Gegensatz zu ihrer eigenen Mutter führte sie einen perfekten Haushalt und war, wenn sie denn zu Hause war, immer dabei, aufzuräumen und sich über Unordnung zu beklagen, von der gar nichts zu sehen war.
    Schule und Noten waren dagegen im Hause Molin kein Thema. Xanes Eltern interessierten sich schlicht nicht dafür; da Xane von Anfang an eine der Besten war, interessierte es sie noch weniger. Deshalb wunderte sich Judith, dass sie aus dem Schulwechsel so eine Sache machte. Xanes Eltern würden höchstens über den Aufwand stöhnen, den es kostete, Formulare auszufüllen und ihre Tochter ab-und woanders anzumelden. Xanes Vater war dauernd in Geschäftsangelegenheiten unterwegs, und die Mutter müsste im schlimmsten Fall einen Friseurtermin oder eine Bridgepartie verschieben. Vielleicht wünschte Xane sich bloß, dass es mit ihren Eltern schwieriger wäre, und nahm deshalb einen so langen Anlauf. Vielleicht war Xane sich weniger sicher, als sie tat.
    Als sie aus der Telefonzelle kam, schien sie nachdenklich. Sie gingen schweigend ein paar Schritte. Warum uns das nicht früher eingefallen ist, berichtete sie schließlich, und was uns einfällt, dass wir noch nicht mit der Claudia geredet haben.
    Ohne Keuschli kein Französisch, sagte Judith und stieß Xane aufmunternd mit der Faust, in der sie die kleine Aluminiumkugel verborgen hielt, gegen die Schulter, ist doch eigentlich egal.
    Ein vertrautes Gesicht, sagte Xane mit dem schafsartig andächtigen Ausdruck, mit dem sie üblicherweise Claudia imitierten.
    Ein guter Kerl, ergänzte Judith mit derselben schlaffen Grimasse, und dann lachten sie und konnten gar nicht mehr aufhören und standen da und bogen sich und ließen die Tränen laufen und japsten, dass sie sich gleich in die Hose machen würden, so wie früher, als sie noch kleiner waren, da war ihnen das wirklich manchmal passiert.
    Am Abend kam die Mutter erstmals zum Essen heraus. Heinz versuchte gerade, Xane das Palatschinkenwerfen beizubringen, aber nachdem ihre erste zum allgemeinen Vergnügen auf dem Badewannenrand gelandet war, weigerte sie sich, es noch einmal zu machen. Xane konnte schlecht verlieren, und wenn ihr etwas nicht sofort gelang, schämte sie sich.
    Judith nahm an den Unterhaltungsprogrammen ihres Vaters grundsätzlich nicht teil, sondern saß bucklig am Tisch und wartete auf das Essen. Salome hingegen wollte es unbedingt versuchen, aber nachdem ihr zu viel Teig in die Pfanne geschwappt war, wurde ihr Vater wütend. Diese Palatschinke kann man nicht mehr wenden, schimpfte er, das ist ja beinahe schon Kaiserschmarren.
    Unwendlich, ließ sich da Mama vernehmen, eine unwendliche Geschichte, und Heinz schaute so erstaunt, als täte ihm etwas sehr weh.
    Zur vereinbarten Zeit läutete das Telefon, Xane senkte das Kinn und wurde ein bisschen rot.
    Für einen von euch, sagte Salome zu ihren Eltern, das ist die Frau Molin.
    Ihr Vater runzelte die Stirn, bevor er den Hörer nahm, und sah zu Xane hin, aber die hatte sich gefangen und lächelte unschuldig zurück.
    Das Gesicht nicht verlieren, dachte Judith und stocherte in ihrem Essen herum, verlier jetzt nicht dein Gesicht, man kann auch den Kopf verlieren, und den Verstand, und das Bewusstsein. Sogar das Leben.
    Mama rührte in einem Marmeladeglas. Fehlt Zimt, fragte sie, als wäre sie gerade erst aufgewacht. Xane versicherte, dass das die beste Marmelade sei, die sie je gegessen habe, denn eigentlich esse sie nie Marmelade. Ich bin nämlich keine Süße, sagte sie mit einer Formulierung, die sie bestimmt von ihrer Mutter hatte, und Mama hob den Kopf und antwortete, da sei sie aber froh. Ihre Töchter seien alle beide Süße, Salome habe damals sogar Judiths Schultüte geplündert …
    Und vors Schultor gespieben, warf Judith ein.
    Wirklich, sagte Mama, daran erinnere ich mich gar nicht. Jedenfalls, wenn ich von mir auf die Kinder schließe, wird das jetzt bald ein Problem.
    Ein Problem, fragte Xane, die wohl die Konversation in Gang halten wollte, um nichts von dem Telefonat zu hören, das ohnehin hauptsächlich von ihrer Mutter geführt zu werden schien.
    Na, schau mich an, lächelte Mama, ich bin bald die Venus von Willendorf, und Xane lachte und sagte: Jetzt übertreiben Sie aber maßlos!
    Heinz gab den Hörer an Xane weiter, stand auf und winkte Judith mit hinaus. An der Tür sah sie, dass Xane ihr verstohlen das
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