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Quasikristalle: Roman (German Edition)

Quasikristalle: Roman (German Edition)

Titel: Quasikristalle: Roman (German Edition)
Autoren: Eva Menasse
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Mulischeiße. Und so ging es weiter, bis sie irgendwann zu jammern begann, ihr sei schlecht, und sie habe Kopfweh.
    Judith lag auf dem Rücken im Gras und fühlte sich ganz leicht. Sie hatte keine Schmerzen mehr. Der Sternenhimmel über ihr war nicht gleichmäßig gewölbt, denn sie konnte ihn mit ihrem Blick zum Ausdehnen zwingen. Er wich zurück und wurde noch größer, sie verursachte Ausbuchtungen dort, wo sie länger hinschaute, Sterntaschen, Milchstraßenfalten, Finsternisbeulen. So viel Macht hatte sie, und nur sie allein wusste davon.
    Sie hörte Xane schnattern und war froh, dass sie da war. Antworten musste sie ihr nicht, denn egal, was sie sagte, Xane verstünde es doch nicht. Xane verstand eigentlich gar nichts, und wenn sie ehrlich war, verstand sie Xane auch nicht. Und trotzdem liebte sie sie. Sie liebte auch Claudia, das verschwitzte Schweinchen. Sie liebte sogar ihren Vater, jedenfalls den Teil von ihm, der ihre Mutter liebte, die anderen Teile brauchte sie nicht geschenkt. Den Gürtel hätte er stecken lassen können, das war echt übertrieben. Sie könnte ihren Hintern Xane jetzt sogar zeigen, denn am nächsten Morgen hätte sie es ohnehin vergessen. Aber dazu war sie zu faul. Sie lag im Gras, die Knie aufgestellt, und drängte mit den Augen die Sterne in den Hintergrund, und Xane schnatterte und schluchzte und kippte plötzlich um, es war noch immer so warm hier draußen, und alles war gut.
    Am nächsten Morgen brachte Heinz die drei Mädchen in den Prater. Er gab Judith ungewöhnlich viel Geld und schaute ihr nicht in die Augen. Sie fuhren Autodrom und Taggada, sie ließen Salome schaukeln und Dosen werfen, weil sie sich nichts anderes traute, sie kauften ihr ein Langos und zweimal Eis.
    Am frühen Abend riefen sie bei Claudia an, doch sie erreichten niemanden.
    In dieser Nacht badete die Mama noch einmal, unter herrlichem, grauenhaftem Gesang. Alles Geschirr blieb diesmal heil, nur Salome tauchte wieder bei ihnen auf. Als Xane, die das Licht angeknipst hatte, Judiths Gesichtsausdruck sah, hob sie zögernd ihre Decke. Ich hab wirklich nur Wasser ausgeschüttet, das letzte Mal, beteuerte Salome, rückte dankbar an die Wand und schlief sofort ein.
    Am Tag darauf saßen sie hinten im Gebüsch und warfen den Spaziergängern draußen Kiesel vor die Füße, als Salome, verschmiert von ihren Wasserfarben, angekrochen kam. Verschwinde, zischte Judith, doch Salome wandte sich an Xane und sagte: Deine Mutter sitzt vorn beim Papa und weint. Xane sprang auf, und sie konnte sie gerade noch am Bein festhalten und ihr ein Lutschbonbon hinstrecken.
    Sie fanden die Erwachsenen am Gartentisch. Die beiden sahen aus wie primitiv bewegte Roboter, Xanes Mutter bebte, rotnasig, von Taschentüchern umgeben, die sie abwechselnd knetete, Heinz saß steif, die Hände auf den Knien, nur den Kopf schüttelte er, hin und her, hin und her. Und die Mädchen hatten den Geschmack von Ricola Schweizer Hustenzuckerln auf der Zunge, das würde Judith noch viele Jahre später wissen.
    Als Frau Molin Xane sah, sprang sie auf, kam ihr entgegen und umarmte sie. Heinz ging zögernd auf seine Töchter zu, bis er mit der Hand Judiths Schulter erreichte und sich dort irgendwie festhielt. Salome griff nach Judiths Hand. Ihr Haus, die Villa, die unverbesserliche Ruine, stand da, prächtig, bröckelnd, die Sonne schien, und es war immer noch Sommer.
    Die Mama lag im gelben Salon zu Bett und summte vermutlich La Traviata.
    Judith hatte ihr Zuckerl in die Backe geschoben, wo es klebrig schmolz. Sie sah, dass Xanes Mutter zitterte. Später saßen sie in der Küche, und sogar die Mama schlüpfte irgendwann herein wie ein erschrockenes Gespenst, alarmiert vom richtigen Leben. Xanes Mutter schien den schäbigen Bademantel gar nicht zu bemerken. Und dann haben sie die Geschichte erfahren, mehrmals hintereinander, in kaum variierten Schleifen, eine sehr kurze, rätselhafte Geschichte, sie handelte von Claudia, die in der Nacht Kopfschmerzen bekam, schreckliche, unerträgliche Kopfschmerzen, und Lizzie hat nichts Besseres gewusst, als in die Nachtapotheke zu rennen, denn was soll das schon sein, Kopfschmerzen, wenn sie Fieber gehabt hätte oder Krämpfe, aber es waren ja nur Kopfschmerzen. Lizzie hat warten müssen, nicht lange, nur ein anderer vor ihr mit seinem Rezept, sie kaufte eine große Packung Aspirin, und als sie nach Hause kam, waren keine zehn Minuten vergangen, aber Claudia hat da schon nicht mehr gelebt.
    Xane wurde entführt, zurück in
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