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Puppengrab

Puppengrab

Titel: Puppengrab
Autoren: Kate Brady
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gestorben.
    Bei diesem Gedanken gaben seine Knie beinahe nach. Bei diesem Gedanken und dem dumpfen Geräusch von etwas, das heftig in seinem Bewusstsein aufschlug. Es war der Körper der toten Tänzerin aus Seattle.
    Neil zog die Hand aus der Hosentasche, ließ die Haarspange aber dort, wo sie war. Er atmete tief ein und blickte auf die Schlafzimmertür. Er wusste, dass er sich nicht für die Frau entscheiden und Jill Wie-auch-immer allein aufwachen würde. Ein besserer Mensch als er hätte sich schuldig gefühlt – die Sorte Mann, die für Schuldgefühle Platz in ihrem Gewissen hatte.
    Doch Neil hatte keinen Platz. Es lagen bereits zu viele Leichen dort.

[home]
    3
    L ila Beckenridge aus Bellevue, Washington«, flüsterte Rick im Flugzeug, nachdem sie auf ihren Sitzen Platz genommen hatten. Er zog zwei Ordner hervor und gab sie Neil. »Sie hat nach ihrer Probe an einem kleinen Supermarkt gehalten und ist danach nicht zu Hause angekommen.«
    Neil öffnete die Akte mit den Fotos vom Tatort. »Puh«, sagte er, und der bittere Geschmack von Galle breitete sich in seinem Mund aus. Ein grausiges Augenpaar starrte ihn an. »Er hat an ihr herumgeschnitzt?«
    »Er hat ihr die Augenlider abgeschnitten. Die liegen dort am Boden.«
    Angewidert blätterte Neil weiter. »Lieber Himmel«, murmelte er, während er die Fotos durchsah. Er hatte alle Mühe, sich nicht von Lila Beckenridges dreckigem und blutverschmiertem Gesicht irritieren zu lassen, das ihm Bild für Bild zu folgen schien. Er zwang sich, die nüchternen Details zu betrachten. Ein paar Zentimeter über ihrer Schläfe lag die Eintrittswunde. Sie war klein, schwarz und ironischerweise so präzise geformt wie der Schlusspunkt einer Geschichte, die bislang niemand kannte. Auf der rechten Seite ihres Kiefers befand sich ein dunkler blauer Fleck, doch abgesehen von ihrem Gesicht sah sie fast unversehrt aus: Sie hatte die Arme seitlich ausgestreckt, wie eine in Positur erstarrte Ballerina, ihre Bluse war ordentlich in den Bund ihres knielangen Rocks gesteckt worden, der sauber und faltenfrei dalag. Sie war dürr, und erst in der Großaufnahme konnte man erkennen, dass die Male an ihren Handgelenken Schürfwunden waren, die durch Fesseln entstanden sein durften. Auf einigen Aufnahmen waren Löcher in der Erde zu sehen, als sei die Tänzerin vor ihrem Tod an Pfählen festgebunden worden.
    Neil musste schlucken und öffnete den zweiten Ordner, der mit »E. DENISON « beschriftet war. »Ist das alles, was wir über die Frau am anderen Ende der Telefonleitung haben? Ihren Führerschein und die Besitzurkunde ihres Hauses?«
    »Hey, ich bin nicht vom FBI . Und außerdem gibt es über diese Frau sonst nichts. Ich habe keine Ahnung, warum irgendjemand sie anrufen sollte.«
    »Irgendjemand? Du meinst: der Mörder.«
    »Oder Beckenridge.«
    Neil blätterte durch den Bericht. »Der Anruf fand kurz nach Mitternacht statt. Der geschätzte Todeszeitpunkt des Opfers liegt zwischen achtzehn und vierundzwanzig Uhr.«
    »Der
geschätzte.
Wie oft hast du schon erlebt, dass Gerichtsmediziner ihre Meinung ändern, sobald die Autopsie-Ergebnisse vorliegen? Besonders, wenn die Leiche nicht mehr frisch ist.«
    Einige Male, dachte Neil, doch nicht so häufig, dass man zwangsläufig von einem Irrtum ausgehen konnte. Neil war zwar schon seit einiger Zeit nicht mehr im Geschäft, aber er konnte sich noch sehr gut an die drei Hauptregeln der Ermittlung erinnern: Regel Nummer zwei besagte, dass jeder in der Kette der Beteiligten genauso viel Dreck am Stecken hatte wie die kriminellste Person unter ihnen.
    Elizabeth Denison tauchte in einer Kette von Menschen auf, die zu einem Mörder führte. Das machte sie nicht notwendigerweise selbst zu einer Kriminellen, doch es konnte sein, dass sie lange genug in einer Verbindung zu ihm stand, um etwas über ihn zu wissen. Irgendetwas, das zu ihm führen würde.
    Neil rutschte unruhig auf seinem Sitz hin und her und spürte, wie die aufkeimende Spannung sein Herz schneller schlagen ließ. Nichts von alldem bedeutete, dass sich etwas an Gloria Michaels’ Tod ändern würde. Es gab Übereinstimmungen zwischen ihrem Fall und dem Mord an Lila Beckenridge – genügend, um aufzuhorchen, doch es gab auch Unterschiede. Der größte betrug neun Jahre und dreitausend Meilen. Wenn Glorias Mörder tatsächlich die ganze Zeit auf freiem Fuß gewesen war, wo hatte er dann gesteckt?
    Natürlich wusste Neil darauf keine Antwort. Er hatte die Zeit damit verbracht, sich hinter
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