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Puppengrab

Puppengrab

Titel: Puppengrab
Autoren: Kate Brady
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eine Neue gefunden habe.«
    »Ich verstehe nicht, warum es dir Spaß macht, die Kassette anzuhören. Für mich klingt sie einfach nur wütend.«
    »Panisch, Jenny, nicht wütend.« Er spürte einen Funken Ärger aufflammen. Chevy liebte Jenny, doch sie verstand einfach nicht, was er tun musste, damit das Lied in seinem Kopf verstummte.
    Andererseits ging es ihr nicht gut. Es ging ihr nicht gut seit der Nacht, in der sie Beth Denison getroffen hatten.
    »Mach, was du denkst«, sagte Jenny. »Schließlich bist du ›Der Jäger‹.«
    »Hör auf«, fuhr er sie an. Der Jäger. So hatte ihn die Presse während des Prozesses im Mordfall Anne Chaney betitelt. Der Staatsanwalt hatte damals vor vielen Jahren den prägnanten Ausspruch getan, dass gerade keine Saison für die Jagd auf Frauen gewesen sei, als Chevy Anne Chaney von hinten erschossen hatte. Ihre Leiche war am Rande eines Sees aufgefunden worden, der zu einem bekannten Elch- und Wildjagdrevier gehörte. Für diesen Kommentar hatte der Staatsanwalt einiges einstecken müssen. Genauso wie für die krasse Anspielung auf jene zweite Frau, »die noch einmal mit dem Leben davongekommen war«. Doch die Presse hatte Chevys Spitznamen begierig aufgegriffen, und er war ihn nicht mehr losgeworden: Der Jäger. Großes D, großes J.  Jenny fand das witzig, doch Chevy hatte es immer geärgert. Er war kein Jäger. Ein Jäger lauert seinem Opfer unbemerkt auf und schlägt im Bruchteil einer Sekunde zu. Zack, und du bist so schnell tot, dass du mich nicht einmal bemerkt hast.
    Wo lag
da
bitte der Nervenkitzel?
    Die Spannung lag doch vielmehr darin, alles vorzubereiten, es durchzuziehen und die vollkommene Kontrolle zu besitzen. Das erste zaghaft panische Keuchen einer Frau einzufangen, ihre wachsende Panik zu beobachten, sie schließlich zu ihren letzten Schreien in Todesangst und zur Aufgabe zu treiben, wenn der Zeitpunkt gekommen war. Er konnte von Jenny nicht verlangen, das zu verstehen, wirklich nicht. Er selbst hatte einen Lernpozess durchmachen müssen. Vor Anne Chaney hatte es drei Frauen gegeben, und die erste, Gloria Michaels, zählte kaum. Er hatte sie aus einem Impuls heraus getötet. Es war wie im Affekt in einem Moment der absoluten Kopflosigkeit passiert, als er das Lied nicht mehr hatte ertragen können. Doch er hatte daraus gelernt und sich gesteigert. Jede der folgenden Erfahrungen war besser gewesen als die vorherige.
    Beth Denison würde die ultimative Befriedigung sein. Ihr Leid würde zur Erfüllung eines ausgeklügelten Plans werden, und es war zugleich eine amüsante Ironie des Schicksals: dank einer Reihe antiker Puppen, die sie noch nie hatte sehen dürfen, die jedoch ihr Leben vor sieben Jahren verändert hatte. In jener Nacht, als Anne Chaney starb.
    Er fasste in die Mittelkonsole zwischen den Vordersitzen und griff nach dem Umschlag mit den Versicherungspolicen. Die obere gehörte zu der Puppe, die blinzeln sollte, es aber nicht tat. Sie war bereits durchgestrichen. Er blätterte zur nächsten Seite:
1864 Benoit. Biskuitporzellan-Kopf und -Brustplatte, Kinderkörper. Korkkopf (ausgetauscht) mit menschlichem Haar. Fehlte bis 1995 in der Larousse-Sammlung. Geschätzter Wert: 20   000 bis 25   000  $.
    Er wandte sich Jenny zu, um ihr das Foto zu zeigen. »Schau mal«, sagte er. »Diese Puppe hat dir doch immer gefallen, oder?«
    Sie antwortete nicht.
    »Ich werde sie nicht verschicken. Wir zwei werden sie verstecken. Du kannst mir helfen, einen guten Platz zu finden, einverstanden? Wir wollen, dass sie für lange, lange Zeit nicht gefunden wird.« Wie auch die Krebspatientin. Sie würde auch niemand finden. »Möchtest du, dass ich dir die Puppe aus dem Kofferraum hole?«
    Keine Antwort. Chevy legte die Versicherungsunterlagen fort und öffnete den Atlas. Er wusste, dass er genauso gut mit einer Wand hätte reden können. »Hör zu, ich werde heute Abend nicht lange brauchen. Wenn wir, sagen wir, um Mitternacht wieder unterwegs sind, können wir morgen früh schon«, er überschlug im Kopf, wie weit sie auf der I- 80 in Richtung Osten kommen würden, und wies auf eine Stelle, »
hier
sein. In Omaha. Ich war noch nie in Omaha«, sagte er, während er mit dem Finger auf das Wort auf der Karte tippte. »Wie findest du das?«
    Er hielt Jenny die Landkarte vor die Nase. Nichts.
    »Jen?« Chevy seufzte und legte die Karte weg. Sie war wieder abgetaucht. An jenen dunklen, stillen Ort, an dem sie niemand zu fassen bekam. An dem ihr keine Schmerzen zugefügt
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