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Pulverturm

Pulverturm

Titel: Pulverturm
Autoren: Jakob Maria Soedher
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man ein Café. Und noch besser – man saß nicht wie in einem Schaufenster, sondern war ganz für sich. Sie konnten sich einen Tisch aussuchen. Ihr Zusammensein war das dreier sich völlig unbekannter Menschen, die scheinbar nichts miteinander verband, deren Kommunikation fast gänzlich aus einvernehmlichem Schweigen bestand aus. Und dennoch, es gab etwas, was sie zusammenbleiben ließ, jedenfalls in diesem Augenblick. Nadja sah abwechselnd mit großen Augen von ihm zu ihrer Mutter und war, ein wirklich seltener Zustand, still.
    Ottmar Kinker hatte keine Ahnung, was er sagen sollte, und fürchtete sich davor, seine Tasse leer zu trinken. Was sollte er nur machen, wenn er nicht mehr voller Verzweiflung das Porzellan langsam zum Mund führen, hineinsehen und trinken konnte. Eigentlich vertrug er gar keinen Kaffee – der Magen – und so langsam wusste er auch nicht mehr, wohin er sehen sollte, da er Angst hatte, sie mit seinen Blicken zu vertreiben.
    Die wenigen Male, bei denen sich die Gelegenheit zu einer Art von Dialog, zu einem behutsamen Austausch von Worten ergab, meist dann, wenn es darum ging, das Milchkännchen zu reichen, die Zuckerdose zu verlangen oder zu betonen, wie gut der Kaffee war, schlug er die Augen nieder. Sie war schön, und er hätte ihr gerne beim Erzählen zugehört. Ihre Stimme war dunkel und weich, selbst dann, wenn sie streng mit Nadja sprach.
    Je mehr sich die Tassen leerten, desto verzweifelter wurde er, denn die Zeit der Trennung rückte heran. Ein Ende würde kommen und damit ein Ende des Wohlgefühls, welches ihn erfasst hatte, auch ein Ende der Geborgenheit, die er empfand. Hier, in diesem Café, in dem er so oft alleine gesessen hatte, erlebte er gerade das Ende seiner Einsamkeit, und doch würde auch diese bald selbst ein Ende finden. Die Macht der Vergänglichkeit konnte ein Trost sein, sicher. Doch ihm war Vergänglichkeit kein Trost, und alles, was ihn sein ließ, gierte danach, es nicht mehr enden zu lassen.
    Als sie gingen, handelte er und kaufte eine Packung Seepralinen. Er wählte die Schachtel, auf welcher das Bild eines Mädchens zu sehen war, welches freudig auf einem Fisch ritt und dessen Zöpfe durch die Luft flogen. Es hatte ihm schon immer gefallen, aber wozu hätte er es kaufen sollen. Er gab sie Nadjas Mutter, nahm die Reste dessen zusammen, was erst Mut gewesen und jetzt nur noch Verzweiflung war, und sagte, dass es sehr schön gewesen sei und dass er sich freuen würde, wenn sie sich wiedersehen könnten.
    Es war wie eine Befreiung. Er fühlte sich dabei, als stünde er neben sich, sah sich und hörte zu, wie er die so einfachen, schlichten Worte sprach, und ihm war, als überquere er auf einem Stahlseil balancierend eine tiefe, felsige Schlucht, ohne zu wissen, ob er ankommen würde.
    *
    Josef Pawlicek war unzufrieden. Er fuhr mit seinem Freizeitauto, einem gut gepflegten Ford Mustang, von Bad Goisern Richtung St. Gilgen und machte sich Gedanken. Das war ihm in letzter Zeit öfter passiert. Jedenfalls auf eine solche Weise, dass ihm danach deutlich bewusst war, dass er über etwas nachgedacht hatte.
    Der Achtzylinder blubberte am Ufer des Wolfgangsees dahin, als Josef Pawliceks Handy klingelte. Missmutig schielte er zum Display, und als er erkannte, wer da anrief, wurde seine Stimmung nicht wesentlich besser. Er wusste, dass er sich aufregen würde, nahm die erstbeste Möglichkeit, um rechts heranzufahren. Dann riss er das Handy mit grobem Griff aus der Halterung, drückte hektisch zweimal ins Leere, bis er die richtige Taste traf und das Gespräch endlich angenommen hatte, ließ aber den Anrufer erst gar nicht zu Wort kommen, sondern bellte bösartig in das Mikro: »Erzähl mir bloß keine Geschichten, du überbezahlter Fadian, gell! Weißt du vielleicht endlich, wo sie ist!? Weißt du das endlich!?«
    Am anderen Ende herrschte Stille. Josef Pawlicek füllte das Warten, indem er in einem Ausbruch unkontrollierter Gewalt gegen das Lenkrad schlug, was seine außerordentliche Erregung deutlich zum Ausdruck brachte, denn es war in seinem bisherigen Leben äußerst selten vorgekommen, dass er Dingen gegenüber gewalttätig wurde, die ihm etwas bedeuteten.
    Er hörte die beschwichtigende, schleimige Stimme von Helmut Mosbichl. »Aber Josi. Was ist denn los. Ich habe dir doch versprochen, dass ich mich um die Sache kümmere. Aber so schnell geht es nun auch nicht, verstehst. Niemand weiß, wo sie hingegangen ist. Und nach Tschuschistan fahre ich wegen der Schlampn
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