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Pulverturm

Pulverturm

Titel: Pulverturm
Autoren: Jakob Maria Soedher
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sie ihr letztes Etappenziel bei Neukirch erreichen.

    Ein paar Mal im Jahr nahm er sich die Zeit, mit Ronsard ausgedehnte Wanderungen zu unternehmen. Dies Mal hatte ihn Marja in Weingarten bei einem Freund abgesetzt und war mit dem Hänger zurück nach Lindau gefahren. Über Waldburg, Vogt, vorbei am Siegenhausener Weiher, war er auf einsamen Feld- und Waldwegen bis zum mäandernden Lauf der Argen gekommen und folgte diesem bis zum Weiler Steinenbach, südlich von Neukirch. Von dort war es nur noch ein halber Tag, eine gemütliche Wegstrecke, bis er wieder zu Hause war. Marja hatte die Zeit seiner Abwesenheit genutzt und war übers Wochenende mit den Gören in die Schweiz gefahren. Er war erst vor einigen Wochen dort bei den Schwiegereltern gewesen, was sehr schön war. Aber dieses Wochenende war großes Familientreffen angesetzt, und darauf konnte und wollte er gerne verzichten, was inzwischen möglich war, ohne dass es zu großen Diskussionen führte.
    Es war Anfang April und eine gute Zeit, um mit Ronsard wandern zu gehen, denn die Natur wartete noch auf ein paar mehr Sonnentage und länger anhaltende Wärme. An den Wegrändern lockten noch keine saftigen, prallgrünen Grasbüschel, die das Herumstreifen mit Ronsard sonst so beschwerlich gestalten konnten. Einen Esel in seiner physischen und charakterlichen Statur über Land zu ziehen war unmöglich. Und noch etwas anderes gab es nicht – wandernde oder Rad fahrende Touristen, die manchmal geradezu hysterisch darauf bestanden, ein Bild von ihm und Ronsard machen zu dürfen.
    Auf seinem bisherigen Weg waren ihm einzig ein paar rotnasige Holzbauern begegnet, die ihm freundlich zuwinkten, sich still über das wundersame Gespann wunderten, am Abend vielleicht davon erzählten – zu Hause oder am Wirtshaustisch. Welch ein schöner Gedanke, von unbekannten Menschen an unbekannten Orten Gegenstand einer kleinen, gutmütigen Geschichte zu sein, vielleicht Initial einer Unterhaltung über das Wandern, über Esel, den Bodensee – und andere schöne Dinge des Lebens.
    Diesmal blieb ihm also Geschrei wie »Mutti! Mutti! Ei guck emol, en Eselsche, en Eselsche!« erspart. Wobei er sich nie sicher sein konnte, wer gemeint war. Brav stellte er sich in solchen Situationen neben Ronsard, nahm Mutti in den Arm, ließ sich fotografieren und war froh, weiterzukommen, ertrug die aufgebrachten Blicke, hinter deren verwunderter Überraschung doch eine ganz andere Sichtweise stand. Eine, die ihn zu einem Außenstehenden abstempelte, zu einem Vagabunden, einem Gebrochenen und eher noch zu einem Zigeuner. Wer zog schon mit einem Esel durch die Lande? Gott sei Dank, es war April. Und im April blieb ihm das auf dieser Route erspart.
    Einzig ein bordeauxfarbener Jaguar Sovereign mit österreichischem Kennzeichen war ihm gleich am Anfang der Tour auf der Landstraße vor Wolfegg begegnet. Der Fahrer, wegen der getönten Scheiben nur schemenhaft zu erkennen, hatte das Tempo reduziert, obschon er gar nicht flott unterwegs war, und etwas hysterisch mit der Lichthupe gegrüßt. Ein freundliches Winken war auch zu erkennen. Erst dachte Schielin, es mit einem Landsberger zu tun zu haben, doch die ersten Buchstaben des Kennzeichens LL standen für Linzer Land. Eine ebenso romantische Landschaft wie die, in welcher er gerade unterwegs war.

    Schielin verließ den romantischen Flusslauf an der Kehre bei Heggelbach, überquerte eine Streuobstwiese und erreichte bald die ersten Häuser von Steinenbach, wo er bei einem Bauern die Nacht verbringen würde. Inzwischen gab es überall Fremdenzimmer, und das ganze Land war eine Weide. Ronsard wurde gut versorgt, und eine Flasche Wein, frisches Brot, Schinken und Käse reichten aus, um glücklich zu sein. Draußen war es jetzt dunkel geworden – und kalt. Schielin schlief gut; tief und fest wie selten, und als er am nächsten Morgen aufbrach, entschloss er sich, die etwas längere, aber umso romantischere Schleife über den Schlein- und Degersee zu nehmen.

    Er hatte gerade die Argen überquert, Oberlangnau lag vor ihm, da klingelte das Handy. Hören konnte er es nicht, aber das Vibrieren dieses kleinen Dings breitete sich über den Rucksack hin aus und fuhr ihm gar nicht mal so unangenehm in die Schultern. Es dauerte eine Weile, bis er es in Händen hielt. Wer immer da anrief, hatte Geduld. Als er die grüne Taste drückte, hörte er zunächst ein Stimmengewirr, aus dem sich schließlich Lydias weicher schwäbischer Dialekt hervortat.
    »Hallo Schatzi. Bist
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