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Professor Bingos Schnupfpulver

Professor Bingos Schnupfpulver

Titel: Professor Bingos Schnupfpulver
Autoren: Raymond Chandler
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nachdenkliches Gesicht. »Ich frage mich, ob man allmählich wieder sichtbar wird«, fügte er dann hinzu, »oder ganz plötzlich. Päng.«
    »Ich neige mehr zu Päng«, sagte Joseph. »Nicht ohne Grund nennt sich der alte Gentleman Bingo. Ich sage, das ist die schnellste Lösung – für alle Beteiligten. Es geht nur darum, daß du den Zeitpunkt richtig wählst.«
    »Das werde ich tun«, sagte Joe Pettigrew. »Ich werde das sehr gründlich bedenken. Es ist wichtig.« Er nickte seinem Spiegelbild zu, und Joseph erwiderte das Nicken. Als er sich abwandte, fügte er hinzu: »Porter Green tut mir ein bißchen leid. Die viele Zeit und das Geld, das er für sie verschwendet hat. Und wenn ich zwischen einem Klubsessel und einem Klavierschemel richtig unterscheiden kann, ist er trotz all seiner Bemühungen noch nicht zum Zuge gekommen.«
    »Da würde ich mir meiner Sache nicht so sicher sein«, sagte Joseph. »Er sieht aus wie einer, der auch bekommt, wofür er bezahlt hat, sonst wird er ungemütlich.«
    Damit war die Sache beschlossen. Joe Pettigrew ging ins Schlafzimmer und holte seinen alten Koffer von einem Bord im Wandschrank. Darin lag eine abgewetzte Aktentasche mit zerrissenem Lederriemen. Er öffnete das Schloß mit einem kleinen Schlüssel. Darin lag, in ein weiches Staubtuch eingewickelt, ein sich hart anfühlendes Bündel. Unter dem Staublappen befand sich ein alter Wollsocken. Und in dem Socken, sorgfältig eingefettet und sauber, steckte eine Selbstladepistole vom Kaliber zweiunddreißig. Joe Pettigrew steckte sie in seine rechte Gesäßtasche, und ihr Gewicht drückte schwerer als das der Sünde. Er legte die Aktentasche in den Wandschrank zurück und ging hinunter, wobei er sich leise bewegte und die Stufen an der Seite betrat. Dann fiel ihm ein, daß dies eine alberne Vorsichtsmaßnahme sei, denn falls eines der Stufenbretter knarren sollte, würde das leise Geräusch wegen des eingeschalteten Radios doch nicht zu hören sein.
    Er erreichte den Fuß der Treppe und ging durch die Diele auf die Wohnzimmertür zu. Behutsam drehte er den Türknauf. Die Tür war verschlossen. Das Schloß, ein Sicherheitsschloß, war angebracht worden, als die unteren Räume als Einliegerwohnung umgebaut worden waren, um sie vermieten zu können.
    Joe zog einen Schlüsselbund aus der Tasche und schob den Schlüssel langsam ins Schloß. Er drehte den Schlüssel. Er spürte, wie der Riegel nachgab. Die Sperrvorrichtung war nicht eingeschaltet. Warum auch? Das tat man nur nachts und wenn man zu den ängstlichen Gemütern gehörte. Er hielt den Türknauf mit der linken Hand fest und öffnete die Tür vorsichtig einen winzigen Spalt, gerade genug, damit das Schloß nicht wieder einschnappen konnte. Das war die Schwierigkeit bei der Sache, eine der Schwierigkeiten. Als die Falle nicht mehr einrasten konnte, ließ er den Türknauf in Ruhestellung zurückgleiten und zog den Schlüssel aus dem Schloß. Indem er den Knauf weiterhin fest umklammert hielt, drückte er die Tür weiter auf, so daß er um die Kante blicken konnte. Abgesehen von dem Lärm, den das Radio machte, kam von drinnen kein Geräusch. Niemand schrie auf. Folglich blickte niemand zur Tür. So weit, so gut.
    Joe Pettigrew steckte den Kopf durch den Spalt und blickte hinein. Im Zimmer war es warm, und es roch nach Zigarettenrauch, Menschen und ganz schwach nach Alkohol. Es befand sich jedoch niemand im Raum. Joe drückte die Tür ganz auf und trat hinein, ein enttäuschtes Stirnrunzeln im Gesicht. Dann verwandelte sich der Ausdruck der Enttäuschung in eine Grimasse des Abscheus und Widerwillens.
    Die Schiebetür in der gegenüberliegenden Wand des Wohnzimmers hatte einst in das Eßzimmer geführt. Das Eßzimmer diente jetzt als Schlafzimmer, aber die zweiteilige Schiebetür war in ihrem ursprünglichen Zustand belassen worden. Im Augenblick war sie geschlossen. Joe Pettigrew stand da, ohne sich zu rühren, und starrte auf die Türflügel. Seine Hand ging ziellos in die Höhe, strich dann über sein schütter werdendes Haar. Für einen langen Augenblick war sein Gesicht völlig ausdruckslos, dann spannten sich seine Mundwinkel bei einem schwachen Lächeln, das alles hätte bedeuten können.
    Er drehte sich um und schloß die Tür zur Diele. Er ging hinüber zum Sofa und blickte hinab auf das halb geschmolzene Eis am Boden von zwei hohen gestreiften Gläsern und auf die Eiswürfel, die in einer Glasschüssel neben der offenen Whiskyflasche im Wasser schwammen, auf die mit
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