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Professor Bingos Schnupfpulver

Professor Bingos Schnupfpulver

Titel: Professor Bingos Schnupfpulver
Autoren: Raymond Chandler
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Professor Bingos Schnupfpulver
     
    1
     
     
    Um zehn Uhr morgens schon Tanzmusik. Laut. Bum bum. Bum bum bum. Der Tonregler voll auf Baß gestellt. Das ließ den Fußboden fast vibrieren. Überlagert vom Summen des Rasierapparats, den Joe Pettigrew über sein Gesicht gleiten ließ, auf und ab, auf und ab, vibrierten die tiefen Töne in Fußböden und Wänden. Er schien sie in den Zehen zu spüren. Sie schienen in seinen Beinen hinaufzusteigen. Die Nachbarn würden sich freuen!
    Erst zehn Uhr vormittags, und schon Eiswürfel im Glas, Wangen gerötet, Augen leicht glasig, das alberne Grinsen und grundloses, lautes Lachen.
    Er zog den Stecker heraus, und das Summen brach ab. Als er mit den Fingerspitzen an der Kante des Unterkiefers entlangstrich, begegneten sich die Blicke seiner Augen im Spiegel in nüchterner Abschätzung.
    »Ausgebrannt«, sagte er mit zusammengebissenen Zähnen. »Mit zweiundfünfzig bist du senil. Es überrascht mich, daß es dich überhaupt noch gibt. Erstaunlich, dich hier zu sehen.«
    Er blies die Stoppeln aus dem Scherkopf des Rasierapparats, steckte die Schutzkappe darüber, wickelte das Kabel sorgfältig darum und legte den Apparat in die Schublade. Er nahm die After Shave Lotion, rieb die Flüssigkeit in die Haut, stäubte Puder darüber und wischte den Puder mit einem Handtuch ab.
    Er starrte das ziemlich hagere Gesicht im Spiegel finster an, wandte sich ab und blickte aus dem Fenster des Badezimmers. Nur geringer Smog an diesem Morgen. Ziemlich sonnig und klar. Man konnte das Rathaus sehen. Wer zum Kuckuck wollte schon das Rathaus sehen? Zum Teufel mit dem Rathaus. Er verließ das Bad und zog das Jackett an, als er die Treppe hinunterging. Bum bum. Bum bum bum. Wie in dieser primitiven Kneipe, wo es nach Rauch roch und Schweiß und nach Parfüm, falls man es so nennen wollte. Die Wohnzimmertür im Erdgeschoß stand halb offen. Er trat hindurch und blickte die beiden an, wie sie cheek to cheek langsam durch den Raum schwebten. Sie tanzten eng, mit verträumtem Blick, in ihrer eigenen Welt. Nicht betrunken. Nur aufgekratzt genug, um die Musik laut zu mögen.
    Er stand da und schaute ihnen zu. Als sie sich drehten und ihn sahen, beachteten sie ihn kaum. Gladys' Lippen verzogen sich ein wenig zu einem schwachen, höhnischen Grinsen, sehr schwach. Porter Green hatte eine Zigarette im Mundwinkel, die Augen wegen des Rauches halb geschlossen. Ein großer, dunkelhaariger Bursche, mit vereinzelten grauen Fäden im Haar. Gut angezogen. Die Augen ein bißchen unstet. Könnte Gebrauchtwagenhändler sein. Könnte alles sein, was nicht zuviel Arbeit erforderte oder zuviel Ehrlichkeit.
    Die Musik hörte auf, und jemand leierte einen Werbetext herunter. Das tanzende Paar trennte sich. Porter Green ging hin und drehte die Lautstärke zurück. Gladys stand mitten auf dem Fußboden und blickte Joe Pettigrew an.
    »Können wir etwas für dich tun, Süßer?« fragte sie ihn mit klarer, verächtlich klingender Stimme.
    Er schüttelte den Kopf, ohne zu antworten.
    »Dann kannst du etwas für mich tun. Tot umfallen.« Sie öffnete den Mund weit und brach in perlendes Gelächter aus.
    »Hör auf«, sagte Porter Green. »Hack nicht auf ihm herum, Glad. Er mag keine Tanzmusik. Na wenn schon. Es gibt Dinge, die du nicht magst, oder?«
    »Klar gibt's die«, sagte Gladys. »Ihn.«
    Porter machte ein paar Schritte und nahm eine Whiskyflasche. Daraus goß er in zwei Highball-Gläser auf dem Couchtisch ein.
    »Wie wär's mit einem Drink, Joe?« fragte er, ohne aufzusehen.
    Joe Pettigrew schüttelte wieder leicht den Kopf und sagte nichts.
    »Er kann einige Tricks«, sagte Gladys. »Er ist fast menschlich. Nur reden kann er nicht.«
    »Ach, hör doch auf«, sagte Porter Green abweisend. Er richtete sich mit den beiden gefüllten Gläsern in der Hand auf. »Hör zu, Joe. Den Alkohol bezahle ich. Deswegen brauchst du dir keine Sorgen zu machen, oder? Nein? Na also, dann ist's ja gut.«
    Er reichte Gladys ein Glas. Sie tranken beide, blickten über die Gläser Joe Pettigrew an, der stumm unter der Tür stand.
    »Kannst du dir vorstellen, daß ich den geheiratet habe?« fragte Gladys mit nachdenklicher Stimme. »Ich hab's wirklich getan. Ich frage mich nur, welches Schlafmittel ich damals getrunken habe.«
    Joe Pettigrew wich zurück in die Halle und zog die Tür halb zu. Gladys starrte darauf. Mit veränderter Stimme sagte sie: »Trotzdem, ich fürchte mich vor ihm. Er steht nur da und sagt nichts. Beschwert sich nicht.
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