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Professor Bingos Schnupfpulver

Professor Bingos Schnupfpulver

Titel: Professor Bingos Schnupfpulver
Autoren: Raymond Chandler
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Pettigrew hielt den Kopf schief und starrte zur Straße hinunter. Er stand da und rührte sich nicht. Das plärrende Radio im Haus hörte er kaum noch. Ein Wagen bog um die Ecke und fuhr vorbei. Hinter dem Fahrzeug wirbelte Staub auf. Die Blätter der Bäume raschelten zwar nicht, machten jedoch ein leises, kaum hörbares Geräusch. Etwas anderes raschelte.
    Langsame Schritte näherten sich Joe Pettigrew. Kein hartes Aufsetzen von Absätzen, nur das leise Schaben von Ledersohlen auf dem betonierten Weg. Seine Genickmuskeln begannen zu schmerzen. Er merkte, wie er die Zähne fester zusammenbiß. Die Schritte kamen langsam heran. Und sie kamen sehr nahe heran. Dann ein Augenblick absoluter Stille. Dann entfernten sich die Schritte wieder von Joe Pettigrew. Und dann sagte die Stimme Professor Bingos aus dem Nichts:
    »Eine Gratisprobe mit meinen besten Empfehlungen, Mr. Pettigrew. Für die Deckung weiteren Bedarfs, jedoch auf merkantiler Basis, stehe ich zur Verfügung.«
    Scharrende Geräusche von sich entfernenden Schritten. Kurz darauf hörte Joe Pettigrew sie nicht mehr. Warum er eigentlich auf die oberste Stufe hinabblickte, hätte er nicht erklären können; aber er tat es. Und dort, wo keine Hand sie hingelegt hatte, neben seiner rechten Schuhspitze, lag eine kleine runde Dose, wie die Schachtel eines Schreibmaschinenfarbbandes. Und auf dem Deckel stand, mit Tinte geschrieben und in präziser altenglischer Schreibschrift: »Professor Bingos Schnupfpulver.«
    Sehr langsam, wie ein uralter Mann oder eine Gestalt in einem Traum, bückte sich Joe Pettigrew, hob die Dose auf, bedeckte sie mit der Hand und steckte sie in die Tasche.
    Bum bum. Bum bum bum, kam es aus dem Radio. Gladys und Porter Green schenkten der Musik keine Aufmerksamkeit mehr. In einer Sofaecke lagen sie sich in den Armen, Lippen an Lippen. Mit einem langen Seufzer öffnete Gladys die Augen und blickte durch den Raum. Dann versteifte sich ihr Körper und riß sich los. Ganz langsam ging die Zimmertür auf.
    »Was ist denn los, Baby?«
    »Die Tür. Was mag er jetzt nur im Schilde führen?«
    Porter Green wandte den Kopf. Die Tür stand jetzt ganz offen. Aber niemand befand sich in der Öffnung. »Na und, die Tür ist offen«, sagte er, und seine Stimme klang ein wenig heiser. »Was ist schon dabei!«
    »Es ist Joe.«
    »Na schön, es ist Joe. Und wenn schon«, sagte Porter Green gereizt.
    »Er versteckt sich draußen. Er führt bestimmt etwas im Schilde.«
    »Bah«, machte Porter Green. Er stand auf und ging durch den Raum. Er streckte den Kopf hinaus in die Diele. »Niemand da«, sagte er über die Schulter gewandt. »Der Luftzug muß sie aufgedrückt haben.«
    »Es gibt keinen Luftzug«, sagte Gladys.
    Porter Green schloß die Tür, prüfte, ob sie auch fest geschlossen war. Albern. Natürlich war sie fest geschlossen. Er ging wieder zurück durch den Raum. Er befand sich auf halbem Wege zum Sofa, da gab die Tür hinter ihm ein klickendes Geräusch von sich und ging wieder auf.
    Gladys Kreischen übertönte die dumpfen Baßtöne aus dem Radio.
    Porter Green machte einen Satz und schaltete das Radio aus. Dann drehte er sich wütend herum.
    »Werde bloß nicht hysterisch«, sagte er zwischen den Zähnen. »Ich kann hysterische Weiber nicht ausstehen.«
    Gladys saß mit offenem Mund da und starrte auf die Tür. Porter Green ging wieder hin und trat hinaus in die Diele. Es war niemand da. Kein Geräusch war zu hören. Einen langen Augenblick herrschte im Haus vollkommene Stille.
    Dann begann oben, in den hinteren Räumen, jemand zu pfeifen.
    Als Porter Green die Tür wieder schloß, ließ er den Sperriegel offen. Er hätte klüger gehandelt, wenn er sie verschlossen hätte. Er hätte vielleicht eine Menge Ärger vermieden. Aber er war kein besonders gefühlsbetonter Mensch, und er hatte ganz andere Dinge im Sinn.
    Und vielleicht hätte es auch gar nichts genützt.

3
     
     
    Es gab Dinge, die wollten wohl überlegt sein. Der Krach – aber den konnte man übertönen, indem man das Radio lauter stellte. Es würde nicht viel lauter gestellt werden müssen. Vielleicht gar nicht. Der Boden dröhnte ohnehin schon, so wie es war. Joe Pettigrew schnitt vor dem Spiegel im Badezimmer eine Grimasse.
    »Du und ich verbringen viel Zeit miteinander«, sagte er zu seinem Spiegelbild. »Was sind wir doch für dicke Freunde. Von jetzt an sollst du auch einen Namen haben. Ich werde dich Joseph nennen.«
    »Unterlaß die Albernheiten«, sagte Joseph. »Das Seichte
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