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Pringle vermisst eine Leiche

Pringle vermisst eine Leiche

Titel: Pringle vermisst eine Leiche
Autoren: Nancy Livingston
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wieder erregt seinen
Schnabel ins Genick. Noch jemand, der Beruhigungstabletten braucht, dachte Mr.
Pringle. Doch dann flog die Elster auf, und er bemerkte verstört, daß der
kleine Vogel sich nicht mehr rührte. Und gleich darauf tauchte eine Feldmaus
auf und begann, an dem zierlichen toten Körper herumzuschnuppern. Eine sehr
große, graue Feldmaus mit einem langen, langen Schwanz.
    Mr. Pringle versuchte, nicht an
die Zeitungsnotiz zu denken, die er vor einiger Zeit gelesen hatte und in der
von einer sprunghaften Vermehrung der Rattenpopulation infolge der zunehmenden
Erwärmung der Ozonschicht die Rede gewesen war. Wenn das da drüben vielleicht
doch keine Feldmaus war, dann ganz bestimmt eine Wasserratte aus dem Wuffen. So
wie in ‹Der Wind in den Weiden› — Maulwurf, Mr. Dachs und eben Ratty. Ein
lieber, freundlicher Kerl, dieser Ratty. Das Nagetier war jetzt unübersehbar
dabei, sich den kleinen braunen Vogel einzuverleiben... Mr. Pringle spürte, wie
sich ihm der Magen umdrehte, doch merkwürdigerweise fühlte er gleichzeitig auch
Hunger.
    Es hatte doch damals in
Wuffinge Parva einen Pub gegeben. Der würde doch wohl noch existieren? Mr.
Pringle entsann sich, daß an gut sichtbarer Stelle in der Bar ein Brief Sir
Walter Scotts gehangen hatte, in dem dieser beredt Klage führte ob der
Wanzenplage, die ihm die Nachtruhe geraubt habe. Falls der Pub nicht inzwischen
verschwunden war, würde er dort ein paar Tage Quartier nehmen — allerdings
möglichst in einem anderen Zimmer als Sir Walter.
    Beim Ausbruch des Krieges hatte
er mit den übrigen Jugendlichen des Dorfes dabei geholfen, an der Rückseite des
Gasthofs einen Unterstand auszuheben. Der Gasthof war damals kein besonders
einladender Ort gewesen, dafür sorgte schon die Wirtin, der es Vergnügen zu
bereiten schien, die neuesten Katastrophenmeldungen zu verbreiten. Ein Witzbold
unter den Gästen hatte einmal gemeint, selbst der behelfsmäßige Bunker sei noch
behaglicher als der Pub. Die Wirtin war sicher längst tot. Wenn nicht eine von
Hitlers Bomben sie erwischt hatte, dann war sie inzwischen bestimmt von einem
der glücklosen Trinker umgebracht worden. Drohungen hatte es genug gegeben.
    Ah, da war der Pub! Es gab ihn
also noch. Fast wäre er vorbeigefahren, doch dann hatte er zwischen den
Siedlungshäusern, ein wenig zurückgesetzt von der Straße, das alte Wirtshausschild
entdeckt: The Hope & Anchor. Er beugte sich vor, um besser
sehen zu können.
    In diesem Moment krachte es,
der Wagen machte einen Satz, rutschte von der Straße und stieß gegen eine
Mauer. Mr. Pringle riß es nach vorn, dann wieder zurück, und schließlich
prallte er mit dem Kopf aufs Lenkrad. Seine Oberlippe platzte auf und begann
sofort heftig zu bluten. Die Windschutzscheibe war zersprungen, und er war von
Hunderten von kleinen Glassplittern bedeckt. Zu allem Überfluß gellte noch die
ganze Zeit die Hupe. Als er in den Rückspiegel sah, entdeckte er zu seinem
Entsetzen, daß ein Leichenwagen in seinem Kofferraum steckte. Wie aus weiter
Ferne drang das Gebrüll des Leichenbestatters an sein Ohr: «Was für ein
idiotischer Platz, um seinen Wagen zu parken!»
    Schwarz gekleidete Männer zogen
ihn vom Fahrersitz und mühten sich ab, die beiden Fahrzeuge zu trennen, während
die Trauergäste in den zahlreichen Limousinen mit unbewegten Mienen zusahen.
Die Männer, deren Aufgabe normalerweise darin bestand, einen Toten plus Sarg
auf die Schultern zu nehmen und das kurze Stück vom Wagen bis zum Chorraum zu
tragen, zerrten und zogen nun an den beiden Wagen und keuchten vor Anstrengung.
    «Wir kriegen sie nicht los...
Wir kommen zu spät!»
    Der Sprecher starrte Mr.
Pringle wütend an. Der hockte kläglich auf der Bordsteinkante und preßte sich
ein Taschentuch gegen die Oberlippe, um die Blutung zu stillen. Ihm dämmerte
allmählich, daß man niemand anderen als ihn dafür verantwortlich machen würde,
einen zahlenden Kunden auf dem Weg in die Ewigkeit aufgehalten zu haben.
    «Da war aber kein
Parkverbotsschild», entgegnete er kleinlaut.
    «Parkverbotsschild! Das ist
eine nicht einsehbare Kurve!»
    «Beruhige dich, Jack. Es ist ja
nicht mehr weit. Wir sollten versuchen, mit den beiden Wagen ein Stück
vorzufahren und dann die Kupplung springen zu lassen, vielleicht kriegen wir
sie so auseinander.»
    Jack setzte sich wieder in den
Leichenwagen. Ein Angestellter mit einem Zylinder auf dem Kopf stieg in Mr.
Pringles Auto. Die Motoren heulten auf, und das seltsame Gefährt bewegte
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