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Postkarten

Titel: Postkarten
Autoren: Annie Proulx
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früher nach Knochen gegraben hatte? Cartridge oder so ähnlich. Großer, verschwitzter Kerl, was zum Teufel war aus dem wohl geworden?
    Der sonderbare Knochen mußte Geld wert sein, und wenn es nach ihm ging, würde Kortnegger nichts davon abbekommen. Komisch, das war nicht der Ort, wo er erwartet hätte, Fossilien zu finden, dieses schwere Ackerland. Aber er war jetzt aufgeregt und grub tiefer in der aufgewühlten Erde, in der Hoffnung auf weitere Knochen, fand jedoch nichts.
    Er ging durch das Wäldchen und trat dabei gegen den Boden, hob abgefallene Äste auf. Weil er nach Knochen Ausschau hielt, entdeckte er sofort den Schienbeinknochen und dann den Schädel, und da wußte er, was die Krähen in das Wäldchen lockte, denn an diesen Knochen hingen noch Fleischstückchen. Verrottete Stoffetzen, das rote Hemd des aufgeweckten Mexikaners.
    Vierzig Minuten später stand der Transporter im Leerlauf vor dem Postamt, und er schrieb eine Postkarte und warf sie in den verbeulten blauen Kasten. Noch bevor die Sonne aufgegangen war, hatte er die Stadt verlassen.

52
    La violencia

    »La tristeza de Miami«, sagte Pala, habe in dem Jahr des Mariel-Exodus angefangen, als die Flut durchgedrehter Leute sich in die Stadt ergoß. Eine alte und mörderisch gespannte Stimmung hielt an. Es waren zu viele Fremde da, zuviel fremdes Geld in zu wenigen Händen.
    Eines heißen Nachmittags hörte sie im Autoradio, daß die vier weißen Polizisten, die angeklagt waren, Arthur McDuffie zu Tode geprügelt zu haben, in Tampa freigesprochen worden waren. Innerhalb von Minuten spuckte die Stadt Blut.
    Sie fuhr immer selbst nach Hause. Sie fuhr gern Auto, mochte das neue Geschäft, das Reisebüro, die Leute, die es eilig hatten. Dub hatte es satt, aber in ihr war noch immer die kubanische Energie, der Antrieb, Dinge zum Laufen zu bringen. Sie mußte arbeiten. Konnte sich nicht zur Ruhe setzen. Wollte sich nicht zur Ruhe setzen. Dub und seine Orchideen.
    Sie steuerte durch den aufgeheizten frühen Abend, horchte auf den aufgeregten Sprecher. Die Sonne schien ihr in die Augen, und sie zögerte auf der Auffahrt, die zur Autobahn führte. Ein Schwarm Baseballschläger schwingender Männer sprang auf das Auto, schwere kleine Glassplitter von der Windschutzscheibe regneten auf ihren Rock, ein Stein zerquetschte die Finger ihrer rechten Hand, die das Lenkrad umklammerte, und während sie verbeulten und zerschlugen, fuhr die Stimme des Sprechers aufgeregt fort, als würde er zuschauen, sich ins Auto beugen, um zu sehen, wieviel Blut floß oder ob vielleicht die Zunge herausgeschnitten und eine rote Rose in die blutende Öffnung gestopft war.
    Aber die Piratin trat aufs Gas und fuhr die lärmende Auffahrt entlang, beschleunigte, so daß der Wind ihr Glasstaub auf die Brust wehte. Sie ruckelte mit dem Auto, warf die Männer ab, bis auf einen, der sich am gezackten Rand der ehemaligen Windschutzscheibe festhielt, den Körper auf der Kühlerhaube ausgestreckt.
    Sie lenkte das zerschundene Auto durch den Pendlerverkehr, hämmerte auf die Hupe. Was hätte sie sonst tun können? Aber gelähmt von der Stimme desselben Sprechers, wurden die anderen Fahrer im flutenden Rot der Bremslichter langsamer, schoben sich in die benachbarten Spuren, um ein paar Meter voranzukommen, schossen vorwärts, und keiner schien das Schmuckstück auf ihrer Kühlerhaube zu bemerken. Ein Schwarzer. Sie sah seine schwarzen Finger und die vor Anspannung weißen Nägel. Er hielt sich immer noch fest. Auf der mittleren Fahrbahn beschleunigte sie, die Augen gegen den Fahrtwind zu Schlitzen zusammengekniffen. Sobald hinter ihr etwas Platz war, trat sie auf die Bremse, sah den Mann vorne auf die Straße purzeln. Sie beschleunigte erneut, holperte über seine Beine. Dann hielt sie an, schaltete den Motor ab und wartete in dem stillstehenden Verkehr und in dem Radau von Hupen, Autoradios und dem heiseren Heulen des Schwarzen, bis die Polizei kam.
    Sie wollte in Miami nicht mehr allein fahren. Wollte nicht in Miami bleiben. Tausende von Menschen wollten nicht in Miami bleiben. Die glitzernde Stadt leerte sich, die Leute mit Geld und die Investoren flohen, ohne Eigentumswohnungen zu verkaufen, Bürotürme zu vermieten, nicht erschlossene Grundstücke zu erschließen. Pala entschied sich für Houston. Das Reisebüro passe ausgezeichnet nach Houston, sagte sie zu Dub.
    »Ich möchte aus dem Immobiliengeschäft aussteigen. Endgültig. Wir brauchen das Geld nicht. Du spielst mit den Orchideen
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