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Postkarten

Titel: Postkarten
Autoren: Annie Proulx
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fleckig war wie ein verschossener Seidenrock. Er sah und hörte alles mit erbarmungsloser Klarheit; und doch war das, was oben an der Mauer passiert war, verworren. Einsam am Rand des Entensumpfs entlangschleichende Kojoten heulten in schrill aufsteigenden Tönen. Mit der nassen Hand klopfte er an die Gerippe der Bohnenstangen, während er durch den verdorrten Garten ging. Wie blasse Staubfussel schwirrten Motten hinter ihm.
    An der Hausecke blieb er stehen und urinierte auf die verblühten Stengel von Jewells Glockenblumen. Die Samenhülsen rasselten, und im zitternden Schatten seiner Beine stieg schwacher Dampf auf. Seine Kleidung war nicht warm. Die graue Arbeitshose mit Erdflecken an den Knien war voller Grassamen und Dornen, seine Jacke war mit Rindenstückchen übersät. Auf seinem Hals brannten ihre tiefen Kratzer. Ein gleißendes Bild ihrer Fingernägel schoß ihm in den Kopf: Er klemmte es ab. Die Seidenschwänze raschelten im steifen Laub, das wie Kreppapier rauschte. Aus der Küche hörte er Minks Stimme, Lautklumpen wie frischgepflügte Erde, und das dumpfe Gebrummel seiner Mutter Jewell, die Antwort gab. Alles schien unverändert. Billy lag irgendwo da oben unter der Mauer, doch sonst schien alles unverändert bis auf seine beunruhigende Sehschärfe und die Beklemmung hinter seinem Brustbein.
    Zwischen den zwei Verandapfeilern hing schlaff eine Schnur mit Bohnenpflanzen; er konnte jede einzelne Hanffaser erkennen, die Schatten in den Runzeln jedes einzelnen vertrockneten Blatts, die prallen Samen in den Hülsen. Ein unten erdverkrusteter aufgeplatzter Kürbis mit einem wissenden Spalt wie ein aufgerissener Mund. Als er die Fliegentür öffnete, zertrat er ein welkes Blatt.
    In der Ecke des Windfangs waren Eierkörbe aus Draht gestapelt. Aus einem mit blassen Eiern halb gefüllten Korb war Wasser getropft, das sich unter Minks Arbeitsstiefeln gesammelt hatte. An Nägeln baumelte die stinkende Stallkleidung: Dubs Jacke, seine eigene schwere Jacke, deren Tasche wie eine Wunde klaffte. Er trat seine Schuhe an dem Stück Sackleinen ab und ging hinein.
    »Wird aber auch Zeit. Du und Dub, Loyal, ihr kommt nie rechtzeitig zum Essen, nie. Das sag’ ich euch jetzt schon, seit ihr vier wart.« Jewell schob ihm die Schüssel Zwiebeln hin. Ihre haselnußbraunen Augen verloren sich hinter den funkelnden Brillengläsern. Der Muskel unterhalb ihrer Unterlippe war so fest wie Holz.
    Die weißen Teller bildeten auf dem Küchentisch einen Kreis, der sich in der Fettkurve um Minks Mund wiederholte. Sein Gesicht war stoppelbärtig, der schmalgeschnittene Mund durch Zahnlücken entstellt. Auf dem dottergelben Wachstuch lag das matte Besteck. Mink packte das Tranchiermesser und sägte am Schinken. Der Schinken roch wie Blut. Kalte Luft kroch über den Boden, hinter der Wand hörte man das Frettchen. Auf einem Meilen entfernten Hügel blinkte ein Dachfenster im letzten Lichtstrahl, loderte ein paar Minuten, verlosch.
    »Gebt die Teller rum.« Minks Stimme, von der seit seinem Traktorunfall vor ein paar Jahren nicht mehr viel übrig war, klang wie in einer anatomischen Falle der Stimmritze gefangen. Er spannte den Hals an, der im Nacken mit weißen Falten überzogen war, und schnitt den Schinken auf. Auf dem Schild an seinem Overallatz stand: HARTER BROCKEN. Die roten Scheiben fielen vom Messer auf die Platte, deren Glasur durch Hitze zu wirren Haarrissen zersprungen war. Das Messer hatte eine dünne abgewetzte Klinge. Mink spürte, wie schwach es gegen den Schinkenknochen war. Eine so abgenutzte Klinge konnte leicht brechen. Sein leerer Blick, blaßblau wie Wintermilch, schweifte über den Tisch.
    »Wo ist Dub? Der verdammte Rumtreiber.«
    »Weiß nicht«, sagte Jewell, die mit Händen wie Karottenbündel Pfeffer aus dem Glashund schüttelte, kerzengerade auf dem Stuhl saß, kräftiges, gesundes Fleisch an den Armen. »Aber eins kann ich euch sagen. Wer zu spät zum Essen kommt, der geht ohne aus. Ich koch’ das Essen, damit es heiß gegessen wird. Aber das ist den Herrschaften egal. Mir ist schnurz, wer: Wer nicht da ist, der kriegt eben nichts. Und wenn’s der heilige Petrus ist. Mir ist schnurz, ob Dub wieder abgehauen ist. Der denkt, er kann kommen und gehen, wie’s ihm paßt. Der schert sich nicht um anderer Leute Arbeit. Aber selbst wenn Winston Churchill persönlich mit seiner dikken, fetten Zigarre zum Essen kommen würde: Wir warten auf niemanden. Wenn was übrigbleibt, kann er’s haben, aber rechnet nicht damit,
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