Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Postkarten

Titel: Postkarten
Autoren: Annie Proulx
Vom Netzwerk:
Ein Paar lümmelt da, Kaffeebecher aus Melamin in den Händen. Die Männer tragen Kappen, das Haar der Frauen ist gelockt. An die Wand geschraubt sind in Plastikfolie eingeschweißte Szenen von Jagdhunden, Packpferden in fernen, schneebedeckten Bergen. Die Wand täuscht knorriges Kiefernholz vor. Loyal bestellt Kaffee. Er kann nichts essen. Aber er hat noch ein wenig Geld für Kaffee und Benzin. Wenn er auf dem Vordersitz schläft. Er müsse warten, sagt die Frau. Die Köchin sei nicht erschienen, und sie seien knapp mit dem Personal. Er will sie fragen, wo er ist, aber sie dreht sich um.
    Motorräder brummen wie kranke Bienen. Die Fahrer kommen herein, reiben sich die Hände, schütteln die Arme aus. Die Frau ist ungeheuer dick. Ihre Füße verschwinden in abgewetzten Stiefeln. Die anderen tragen Cowboystiefel. Der dürre Mann führt sie zu dem Tisch in der Mitte des Raums. Er schiebt seine Harley-Davidson-Mütze zurück und zündet sich eine Zigarette an.
    »Scheiße, wißt ihr noch, der Typ? Wo zum Teufel war das? Mann, ich geh’ da rein, sage: ›Mann, was zum Teufel treibt der alte Larry in’nem Laden wie diesem?‹« Die Männer unterhalten sich mit harten Stimmen, die Frauen beugen sich vor und lachen.
    »Tja, nach’ner Weile hab’ ich mir gedacht, die Sache wird heiß.«
    Die Frau bringt ihnen Speisekarten. In der rechten Hand hält sie eine Kaffeekanne. Loyals Kaffee ist lauwarm und die Tasse fast leer. Er winkt der Frau.
    »Schenken Sie mir ein bißchen Kaffee nach, bitte?« Er bekommt ein winziges, geriffeltes Schälchen mit Kaffeeweißer aus ihrer Kitteltasche. Loyal spürt ihre Körperhitze in dem weißen Zeug.
    »Warst du gestern da, als Tom die verdammte Kaffeesahne aus Weizen hatte?«
    »Nein, wie war die denn, klumpig?«
    »Herrgott. Ja, die war wie Kies.«
    Jetzt holpern die abgenutzten Reifen über Risse in der Straße, ein burgförmiger Felsen ragt aus dem Nebel. Das Radio meldet, daß ein wegen Vergewaltigung verhafteter Mann geflüchtet ist.
    Er befindet sich auf einer Nebenstraße. Der Verkehr ist dünner. Aber irgend etwas stimmt nicht. Irgendwie hat er die Richtung gewechselt. Er sollte jetzt durch trockenes Gelände fahren, aber er sieht Friedhöfe, Plastikblumen in Plastiktöpfen. Von weißen Steinen springen ihn Namen an: Heydt, Hansen, Hitzeman, Schwebke, Grundwaldt, Pick. Auf einem Grab liegt ein Maiskolben. Diese Straßen sind falsch. Er biegt auf einen Kiesweg, der durch die schwarzen Felder von Schwebke, Grundwaldt und Hitzeman verläuft.
    Amseln mit roten Flügeln fliegen auf, Wolkenschatten treiben über das sanft geschwungene Land, Ladenfronten, Wellblechwände von Reparaturwerkstätten, Kornspeicher, landwirtschaftliche Chemikalien. Traktoren wühlen die Erde auf. Gott, das muß Minnesota sein. Er fährt nach Osten, muß quer durch ganz South Dakota Richtung Nordosten gefahren sein. Verkehrt. Total verkehrt.
    Die Farbe des Bodens wird tiefblau. Aus den riesigen Traktorentanks sprühen Strahlen von Unkrautvernichtungsmitteln. Ein alter Bauer trägt einen Stuhl aus der Küche in die Wiese. Auf Zaunpfählen und Baumstümpfen liegen bemalte Steine. Die Pappelreihen hinter den Farmhäusern gleichen Windharfen.
    Und neben einem leeren Feld, auf einer leeren Straße, die so gerade ist wie straff gespannter Draht, ein letztes Stottern der ausgeleierten Kolben, und der Wagen bricht zusammen. Ausgeleiert, ausgeleiert, verbraucht. Das ist alles, Leute.

55
    Die weiße Spinne

    Als Loyal die Augen aufschlug, erblickte er eine weiße Spinne, die auf den Blütenblättern eines Gänseblümchens hockte. Der runde cremefarbene Unterleib drückte die buttrigen Staubfäden nieder. Es war windstill. Im Gras schwammen Gänseblümchen wie Puppenteller. Ihm fiel nicht ein, woran sie ihn erinnerten - vielleicht an Waffeln. Oder eine andere, nicht weiße Spinne.
    Er hatte schlecht geschlafen; der Husten quälte ihn jetzt auch im Schlaf. Mit der Zunge ertastete er am Mundwinkel eine eitrige Stelle, die von einem dünnen Grashalm stammen konnte, der so tief ins Fleisch eingedrungen war, daß er unsichtbar war, oder davon, daß er Händevoll aus dem Gras geklaubter Walderdbeeren mitsamt den Stielen gegessen hatte. Es war keine Jahreszeit für Erdbeeren. Er drückte die Zeigefingerspitze gegen den Daumen und katapultierte die weiße Spinne jäh in die Luft. Sie fiel, ein kleiner blasser Fleck.
    Er ging eine schmale Straße entlang, die von Bäumen überwölbt wurde, abgesehen von den Reifenspuren im Staub
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher