Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Postkarten

Titel: Postkarten
Autoren: Annie Proulx
Vom Netzwerk:
ab. Er lief herum. Er warf die schmutzigen Pfannen auf den Boden und trat gegen die Schranktür unter der Spüle. Niemand würde sie kaufen. Mach dir das klar, schrie er.
    Er machte lange Waldläufe. Er wußte nicht, was er tun sollte. Wenn er nicht mehr für Bobby arbeitete, würde er kein Geld mehr haben. Wenn er kein Geld mehr hätte, würde er kein Koks mehr haben. Kein Geld, keine Drogen. Alles war beim Teufel. Alles bis auf die verfluchte Hütte. Da war er. Er wußte nicht, was er tun sollte. Warum war er hierhergekommen? Er haßte die Hütte. Und unten in der Wohnwagensiedlung das Gekreisch der Motorradreifen im Dreck. Die Autos mit kaputten Auspuffrohren. Die beschissene Wohnwagenkirche mit ihrem Blechturm. Morgens, mittags und abends Lautsprecher, die Glockenläuten vom Band übertrugen. Lärm machte ihn verrückt. Sehen wir mal, zählen wir die Arten, auf die Lärm mich aufregt.
    Beginnen wir drinnen. Der Kühlschranklärm. Wie ein Düsenjet, der am Tag fünfzigmal in der Küche abhob. Das Radio, der Fernseher. Musik, die Kassetten und Schallplatten. Der verdammte Videorecorder. Der elektrische Rasierapparat. Das rauschende Gurgeln der Toilette. Das aus den Hähnen laufende Wasser. Die Pumpe. Die Pumpe war schlimm. Der Gefrierschrank. Der Ventilator. Das ekelhafte Summen des Computers und sein zwitschernder Warnton. Der Wekker neben dem Bett. Tick. Tick. Der automatische Energiesparschalter, der auf 17:00 Uhr stand. Die an die Zimmerdecke stoßenden Fliegen. Die Vögel, die in ihre eigenen Spiegelbilder im Fenster krachten. Der Wind. Nein, der Wind war Außenlärm. Mäuse in den Wänden. Hörte sich an wie eine Westernstadt Mäuse-in-den-Wänden, Montana. Okay, soweit drinnen.
    Jetzt die großen Probleme. Draußen. Die Wohnwagensiedlung. Mißtönende Sinfonie zuknallender Türen. Schreiende Frauen, weinende und rufende Kinder. Das Übungszielschießen an Samstagnachmittagen. Diverse Lkws, Pkws, Motorräder, Motorschlitten, Dreiradfahrzeuge, Geländefahrzeuge. Fünfzig, hundert bellende Hunde. Lachende Männer, was zum Teufel sie auch zum Lachen finden mochten. Die Glocken. Radios. Und auf der Straße unterhalb der Wohnwagensiedlung der Wagen der Postbotin, der UPS-Mann. Sattelschlepper für Baumstämme und Schnittholz, Öltransporter, Benzintransporter, Milchtransporter. Federal Express, der Sheriff, der dicke Buddy Nipple, der mit seinem Pritschenwagen voll jaulender Hunde zu einem Hundewettbewerb fuhr. Der Verkehr.
    Buddy Nipple lehnte sich über den Tresen, nahm das Geld für den Sechserpack entgegen. »Jo! Ja! Jaha! Ja! Okay! Sie haben’s raus! Aber sicher! Sie sind ein guter Kerl! Wollen Sie’ne Tüte? Okay! Aber sicher!«
    Die Flugzeuge über ihm. Jeden Tag Tausende. Jets und Kampfflugzeuge, neue Piloten, die über ihm dahinflatterten, die Geschäftsflüge, die auf das hundertsechzig Kilometer weiter nördlich gelegene Montreal zuhielten. Und die Hubschrauber. Die Polizei, die nach Marihuanafeldern Ausschau hielt. Wildhüter, die nach toten Tieren Ausschau hielten. Brandaufklärer, die nach Rauch und Bränden Ausschau hielten. Herrgott! Jo! Jo! Aber sicher!
    Und die Vögel. Vergiß die Vögel nicht, sagte er sich. Die lauten, sich stets wiederholenden Kreisch- und Trillerlaute der Vögel. Das ewige Gezwitscher. Die Grillen, Zikaden, Zikaden, die so schrecklich zirpen. Das Kreischen des Reihers. Im März das Katzengeschrei. Das jahreszeitlich bedingte Krakeelen der Gänse über seinem Kopf Richtung Norden, Richtung Süden. Das Geräusch der Luft im Laub, das fallende Laub, das seinen Atem übertönte, als würden schwere Windfinger ohrenbetäubend auf den Tisch trommeln. Was ist daaaas denn? Eeeecht? Jo! Jo!
    Zu diesem Lärm, der ihn in den Wahnsinn trieb, der es ihm unmöglich machte, sich auf etwas, auf irgend etwas zu konzentrieren, wehte ständig Wind. Der Wind hier hörte nie auf, rüttelte am Haus. Und der Regen. Der Regen, der gegen die Fenster, auf das Dach trommelte. Dann Hagel, Schnee und Donner. Nachts das Geheul von Wildkatzen und Kojoten.
    Er war fertig. Er war sich ziemlich sicher, daß er fertig war. Aber sicher! Um ihn herum spülte Unrat hoch. Jo! Er ging eine ausgewaschene Straße entlang, die nirgendwohin führte, roch Unrat, fand einen verwesenden Schweinekadaver. Krähen hatten die Augen ausgepickt. Die Haut zerpickt, daß sie aussah wie Kieselsteine. Rötliche Haare ausgerissen, die schichtweise auf dem Boden lagen. Die Krähen waren am Abzugsgraben gewesen. Er sah den
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher