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Postbote Stifter ermittelt 02 - Oberland

Postbote Stifter ermittelt 02 - Oberland

Titel: Postbote Stifter ermittelt 02 - Oberland
Autoren: Tanja Weber
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hatte immerhin verstanden, dass sieund dieser alte Mann sich nach dem Krieg kennengelernt hatten. Er war aus russischer Kriegsgefangenschaft gekommen und hatte bei ihr Unterschlupf gesucht, weil Gudrun von Rechlin ihn abgewiesen hatte. Er war gegangen und gekommen, zuletzt in der Nacht vor dem Mord an Gudrun von Rechlin.
    Thalmeier betrachtete den ärmlichen Bauernhof von der Straße aus. Ein niedriges Haupthaus mit einer Scheune zur Linken und einem Stall zur Rechten. Hühner staksten auf dem Hof umher. Eine alte Frau, in Schwarz gekleidet, fegte den Hof mit einem Reisigbesen, dabei schimpfte sie mit den Hühnern und verjagte sie. Und mittendrin stand der dunkelblaue alte Mercedes. Thalmeier war sicher, dass er ihn gefunden hatte. Er stieg aus dem Wagen und ging mit gemischten Gefühlen auf den Hof zu. Was wollte er dort? Eine Bestätigung für seine Theorie? Er hatte mit niemandem darüber geredet, weder mit den Kollegen noch mit Stifter. Er wollte das Phantom, das ihm nur einmal flüchtig begegnet war, einfach nur finden. Dann mit dem Mann reden und sich ein Bild machen.
    Die Frau auf dem Hof hatte ihn bereits bemerkt und kam ihm mit fragendem Gesichtsausdruck entgegen. Aber sie schien nicht abweisend zu sein, im Gegenteil, nachdem Thalmeier sich höflich auf Deutsch vorgestellt hatte, nahm sie ihn an der Hand. Sie sprach seine Sprache offensichtlich nicht, aber es schien, als hätte sie ihn verstanden, denn nun zog sie ihn, unaufhörlich ungarisch redend, ins Haus. Es hörte sich an, als klagte sie, und als sie die Tür zu einer Kammer öffnete, die von dem niedrigen kleinen Flur wegführte, wusste Georg Thalmeier auch, warum. Das kleine Zimmer war ohne elektrisches Licht, aber unzählige Kerzen erhelltenflackernd die Szenerie. Thalmeier hörte zuerst, bevor er sah. Er hörte lautes Wehklagen und Jammern und geleierte Gebete in einer fremden Sprache. Die Frau neben ihm brach in lautes Schluchzen aus und deutete auf den Leichnam, der in der Mitte des Raumes aufgebahrt war. Er trug einen alten schwarzen Anzug, der ihm an den Armen und Beinen zu kurz war, sein Gesicht war unnatürlich wächsern, aber Georg Thalmeier erkannte ohne Zweifel den alten Mann, der aus dem Mercedes heraus in Lohdorf nach dem Weg in die Wettersteinstraße gefragt hatte.
    *
    Der Tourwechsel würde erst zum ersten November erfolgen können, und so musste Stifter seine Route noch immer in der Chamissostraße beginnen. Schon von weitem sah er den älteren Golf vor dem Haus der Regmeiers parken und konnte es sich, während er die Post bei den Nachbarn verteilte, nicht verkneifen, immer wieder zum Grundstück zu blicken. Ein Schild stand im Garten, der noch immer eine Erdwüste war: »Zu verkaufen.« Stifter war betreten. Er hatte jüngst von der Verkäuferin in der Bäckerei am Novalisplatz erfahren, dass Herr Regmeier bei dem Konzern angestellt war, der in naher Zukunft seinen Sitz in Bayern aufgeben und 3000 Stellen streichen würde. Nun öffnete sich die Haustür, und ein älterer Herr trat aus dem Haus der Regmeiers. Er trug schwer an zwei Koffern. Hinter ihm folgte eine Frau im gleichen Alter, die einen der kleinen Regmeier-Buben auf dem Arm hatte. Frau Regmeier folgte ihr mit dem zweiten. Als die kleine Truppe das Auto erreicht hatte, verstaute der Opa, denn das waren unverkennbar die Eltern der jungen Frau, die Kofferumständlich im Wagen, während Frau Regmeier und ihre Mutter sich bemühten, die Jungs auf die Kindersitze zu zwängen. Stifter rollte näher heran. Frau Regmeier bemerkte ihn und lächelte ihm leicht zu, aber er konnte sehen, dass ihre Augen verweint waren. Ihre Mutter strich ihr mit einer flüchtigen, aber fürsorglichen Geste über die Wange und sagte etwas zu ihrer Tochter. Die warf einen letzten Blick auf den modernen Wohnkubus, schluckte tapfer und nahm zwischen den Kindersitzen Platz. Dann fuhr der vollgestopfte Golf mit rauchendem Auspuff davon, und Stifter spürte, dass ihm weh ums Herz wurde. So verzweifelt die Lage der Regmeiers anscheinend war, so sehr berührte ihn die tiefe Verbundenheit zwischen Eltern und Kindern und Kindeskindern. Die Sicherheit, die Familie geben konnte. Konnte, nicht musste, wie sich bei den Rechlins gezeigt hatte. Annette war an ihrer Familie zerbrochen. Sie hatte ihren Selbstmordversuch überlebt und war noch immer in der Klinik. Stifter hatte sich vorgenommen, sie zu besuchen, sobald das möglich war. Er hatte viel an sie gedacht, an ihre Einsamkeit. Und ihre Verzweiflung. Und er hatte
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